Der Name Ghibli weckt bei Autofans sofort Assoziationen: Eleganz, Sportlichkeit, italienische Leidenschaft. Die dritte Generation des Maserati Ghibli (M157), die 2013 auf den Markt kam, sollte genau das verkörpern – eine stilvolle Alternative im Segment von BMW 5er, Mercedes E-Klasse und Audi A6. Nach über einem Jahrzehnt Bauzeit ist nun Schluss. Die Produktion des Ghibli endet 2024, ein direkter Nachfolger ist nicht geplant. Maserati richtet sich neu aus, fokussiert auf Elektrifizierung und höher positionierte Modelle. Doch gerade das Ende macht den Ghibli M157 zu einem spannenden Kandidaten auf dem Gebrauchtwagenmarkt. War er mehr als nur eine hübsche Hülle?
Was war der Maserati Ghibli (M157) und was wollte er sein?
Der Ghibli M157 war ein strategisch entscheidendes Modell für Maserati. Er sollte die Marke aus der reinen Luxus-Nische herausholen und im volumenstärkeren Business-Segment etablieren. Technisch basierte er auf einer verkürzten Plattform des größeren Quattroporte. Angeboten wurde er ausschließlich als viertürige Limousine (kein Kombi). Sein klares Ziel: Käufer ansprechen, denen die deutsche Konkurrenz zu nüchtern oder zu alltäglich war. Der Ghibli sollte mit seinem emotionalen Design, dem prestigeträchtigen Dreizack-Logo und vor allem mit seinen potenten Motoren (entwickelt in Kooperation mit Ferrari) punkten. Er war der Versuch, italienisches Flair in die Geschäftswelt zu bringen.
Welche Motoren prägten den Charakter: V6-Benziner, Diesel oder der brachiale Trofeo V8?
Das Herzstück eines jeden Maserati sind die Motoren. Der Ghibli bot über seine Bauzeit eine interessante Palette, wobei klar die Benziner im Vordergrund standen.
- V6-Benziner (Biturbo, gebaut von Ferrari): Das war die Kernmotorisierung. Angeboten in verschiedenen Leistungsstufen:
- Ghibli (Basis): Meist 330 PS, später 350 PS, reiner Heckantrieb. Ein guter Einstieg, aber dem Gewicht nicht immer souverän gewachsen.
- Ghibli S / S Q4: Die potentere Version mit 410 PS, später 430 PS. Wahlweise mit Heck- (S) oder intelligentem Allradantrieb (S Q4). Diese Modelle bieten die beste Balance aus Leistung, Klang und Alltagstauglichkeit. Der Ferrari-V6 klingt herrlich und liefert satten Schub.
- Ghibli Diesel (V6): Ja, es gab ihn wirklich. Ein 3.0-Liter V6-Diesel (meist 275 PS), entwickelt von VM Motori. Er sollte Flottenkunden locken, war sparsam (für einen Maserati), klang aber systembedingt weniger emotional und konnte sich gegen die etablierten deutschen Diesel nie wirklich durchsetzen. Gebraucht sehr günstig, aber eben ein Diesel-Maserati…
- Ghibli Trofeo (V8 Biturbo, gebaut von Ferrari): Das absolute Highlight und der Schwanengesang der Baureihe (eingeführt 2020). Der 3.8-Liter V8 aus dem Quattroporte GTS mit 580 PS und Heckantrieb machte den Ghibli zur viertürigen Rakete (0-100 km/h in 4,3 s, über 320 km/h Spitze). Ein seltenes, teures und extrem emotionales Sammlerstück. Die Produktion endete bereits.
Tipp von Alex Wind: Der beste Kompromiss aus Faszination und Vernunft ist klar der Ghibli S Q4 mit dem 430-PS-V6-Benziner und Allradantrieb. Er bietet ganzjährig souveräne Fahrleistungen, den tollen Ferrari-Sound und ist gebraucht deutlich zugänglicher als der Trofeo. Finger weg vom Diesel, es sei denn, Sie suchen bewusst den Exoten im Exoten.
Wie schlug sich der Ghibli gegen die deutsche Konkurrenz?
Der Ghibli war immer der Außenseiter, der Charmeur. Er konnte nie ganz die Perfektion und technologische Raffinesse einer E-Klasse oder eines 5ers erreichen, bot aber mehr Emotion und Exklusivität.
Merkmal | Maserati Ghibli S Q4 (430 PS) | BMW 540i xDrive (G30, 340 PS) | Mercedes E 450 4MATIC (W213, 367 PS) |
Motor | 3.0L V6 Biturbo (Ferrari) | 3.0L R6 Turbo | 3.0L R6 Turbo (EQ Boost) |
Charakter | Emotional, Klangstark | Souverän, Effizient | Komfortabel, Seidig |
Innenraum-Qualität | Gut, aber Details schwächer | Sehr gut | Sehr gut |
Infotainment | Mittelmäßig (alt), Gut (neu) | Sehr gut (iDrive) | Gut (MBUX) |
Fahrdynamik | Sportlich, Agil | Ausgewogen, Präzise | Komfortabel, Sicher |
Exklusivität | Hoch | Mittel | Mittel |
Der technische Kompromiss des Ghibli lag oft im Detail: Das Infotainmentsystem war (vor dem Update auf das Android-basierte MIA-System um 2021) veraltet. Die Verarbeitungsqualität im Innenraum erreichte nicht immer das Niveau der Deutschen. Und das Platzangebot im Fond war eher knapp bemessen. Der “Preis” für das italienische Design und den Ferrari-Motor war also ein Verzicht auf Perfektion im Detail.
Wie zuverlässig ist ein gebrauchter Ghibli?
Maserati eilt nicht der beste Ruf in Sachen Zuverlässigkeit voraus, und ganz unbegründet ist das nicht. Der Ghibli ist keine Toyota-artige Sorglos-Garantie. Potenzielle Schwachstellen sind:
- Elektronik: Wie bei vielen italienischen Autos kann die Elektronik (Infotainment, Sensoren, Steuergeräte) launisch sein. Software-Updates und eine gute Batteriepflege sind wichtig.
- V6-Benziner: Die von Ferrari gebauten Motoren sind grundsätzlich solide, aber thermisch hoch belastet. Regelmäßige, korrekte Wartung (Ölwechsel!) bei Spezialisten ist essenziell. Defekte Turbolader können vorkommen.
- Fahrwerk: Buchsen und Querlenker können bei sportlicher Fahrweise oder hohen Laufleistungen verschleißen.
- Verarbeitung: Kleinere Verarbeitungsmängel im Innenraum (Knarzen, lose Teile) sind nicht ungewöhnlich.
Fazit zur Zuverlässigkeit: Ein Ghibli erfordert mehr Aufmerksamkeit und potenziell höhere Wartungskosten als ein deutscher Konkurrent. Der Kauf ohne lückenlose Servicehistorie bei Maserati oder einem anerkannten Spezialisten ist riskant. Eine gute Gebrauchtwagengarantie ist dringend zu empfehlen.
Historischer Kontext: Wiederbelebung eines legendären Namens
Der Name Ghibli hat bei Maserati eine lange Tradition. Der erste Ghibli (AM115, 1967-1973) war ein atemberaubendes GT-Coupé mit V8-Motor, gezeichnet von Giugiaro – heute ein gesuchter Klassiker. Der zweite Ghibli (AM336, 1992-1998) war ein kantiges Biturbo-Coupé aus der de Tomaso-Ära, bekannt für seine explosive Leistungsentfaltung.
Die dritte Generation (M157) brach mit der Tradition: Sie war die erste viertürige Limousine unter diesem Namen und das erste Maserati-Modell mit einem Dieselmotor. Sie sollte Maserati in eine neue Ära führen und Stückzahlen bringen. Dieses Ziel wurde nur teilweise erreicht. Der Ghibli blieb immer ein Nischenmodell, verkaufte sich aber gut genug, um die Marke über Wasser zu halten und die Entwicklung neuer Modelle (wie MC20, Grecale) zu finanzieren. Sein Produktionsende markiert nun das endgültige Ende von Maseratis Volumen-Strategie und die Konzentration auf das rein elektrische Luxussegment.
Was spricht heute GEGEN den Kauf eines gebrauchten Ghibli?
Trotz seines Charmes gibt es valide Gründe, die gegen einen gebrauchten Ghibli sprechen:
- Hohe Unterhaltskosten: Versicherung, Wartung bei Spezialisten und potenzielle Reparaturen sind teuer. Der Verbrauch der Benziner ist hoch.
- Wertverlust: Der Wertverlust war bereits hoch und könnte sich durch das Produktionsende und Maseratis ungewisse Zukunft weiter beschleunigen.
- Technologischer Stand: Selbst Modelle nach dem Infotainment-Update 2021 sind bei Assistenzsystemen und Konnektivität nicht auf dem allerneuesten Stand der deutschen Konkurrenz.
- Praktikabilität: Enger Fond, durchschnittlicher Kofferraum, kein Kombi verfügbar.
Anekdote: Der Klang der Emotion
Ich fuhr einen Ghibli S Q4 durch die italienischen Alpen. In einem Tunnel öffnete ich das Fenster, schaltete in den Sportmodus und gab Gas. Der V6 brüllte los, ein heiserer, metallischer Schrei, der von den Wänden widerhallte. Gänsehaut pur. Wenige Kilometer später rollte ich entspannt durch ein Dorf, der Motor säuselte kaum hörbar. Diese Bandbreite, dieser charaktervolle Klang – das ist es, was den Ghibli von seinen oft synthetisch klingenden deutschen Konkurrenten unterscheidet. Es ist pure Emotion, verpackt in eine wunderschöne Hülle.
Zukünftiger Ausblick: Was kommt nach dem Ghibli?
Maserati plant keinen direkten Nachfolger. Die Rolle der “kleineren” Limousine unterhalb des nächsten (elektrischen) Quattroporte könnte vakant bleiben oder durch ein völlig neues Modell (möglicherweise ein Crossover oder eine Sportlimousine auf STLA-Basis) gefüllt werden. Die Ära der klassischen, viertürigen Maserati-Verbrenner-Limousine im 5er/E-Klasse-Segment ist mit dem Ende des Ghibli definitiv vorbei. Sein Erbe wird in den kommenden Folgore-Elektromodellen weiterleben – aber eben anders.
Fazit: Der Maserati Ghibli (M157) war nie das perfekte Auto, aber immer ein besonderes. Als Gebrauchtwagen ist er heute eine Verlockung für Individualisten, die italienisches Design und den Klang der Ferrari-V6-Motoren lieben. Die Preise sind gefallen, die Auswahl ist gut. Wer bereit ist, höhere Unterhaltskosten und das Risiko unerwarteter Reparaturen in Kauf zu nehmen und ein gut gewartetes Exemplar (idealerweise S Q4 Benziner ab 2018) findet, bekommt ein Auto mit Seele, das aus der Masse heraussticht. Er ist ein emotionaler Abschied von einer aussterbenden Gattung.





















