Wer heute in den USA einen Mietwagen der Mittelklasse bucht, bekommt oft einen Nissan Altima. Diese geräumige, komfortable Limousine ist dort ein Bestseller, ein direkter Konkurrent für Toyota Camry und Honda Accord. Doch während der Altima in seiner aktuellen Generation (L34, Facelift 2023) frisch und modern wirkt, sucht man ihn in deutschen Nissan-Autohäusern vergeblich. Tatsächlich ist es über 15 Jahre her, dass Nissan in diesem Segment hierzulande offiziell Flagge zeigte (damals noch mit dem Maxima QX als indirektem Vorgänger). Was ist passiert? Warum ist eine ganze Fahrzeugklasse japanischer Limousinen aus Deutschland verschwunden?
Was war der Nissan Altima (und seine Vorgänger) in Europa?
Der Name “Altima” selbst hat in Europa kaum Spuren hinterlassen. Die Modelle, die hierzulande seine Rolle in der oberen Mittelklasse einnahmen, hießen meist Nissan Maxima oder Maxima QX. Sie waren in den 90er und frühen 2000er Jahren durchaus präsent – bekannt für ihre laufruhigen V6-Motoren, ihre üppige Ausstattung und ihre sprichwörtliche Zuverlässigkeit. Sie positionierten sich als preislich attraktive, komfortorientierte Alternativen zu deutschen Premium-Modellen wie BMW 5er oder Mercedes E-Klasse, aber auch zu Volumenmodellen wie Ford Scorpio oder Opel Omega.
Technisch waren sie oft auf den US-Markt zugeschnitten: weiche Fahrwerke, Automatikgetriebe und Motoren, die eher auf entspanntes Cruisen als auf deutsche Autobahn-Dynamik ausgelegt waren.
Warum verschwand diese Fahrzeugklasse vom deutschen Markt?
Das Verschwinden des Altima/Maxima aus Deutschland ist symptomatisch für einen fundamentalen Wandel auf dem europäischen Automarkt und spezifische Schwächen der japanischen Hersteller in diesem Segment. Mehrere Faktoren spielten zusammen:
- Der Aufstieg der deutschen Premium-Marken: BMW, Mercedes und Audi dominierten (und dominieren) das Segment der oberen Mittelklasse in Europa immer stärker. Ihre Produkte boten nicht nur mehr Prestige, sondern auch überlegene Technologie (insbesondere bei Dieselmotoren und Infotainment) und ein auf europäische Bedürfnisse zugeschnittenes Fahrverhalten.
- Die Diesel-Schwäche: Japanische Hersteller setzten traditionell stark auf Benzinmotoren (oft V6). Im europäischen Flottenmarkt, der dieses Segment stark prägte, waren jedoch sparsame und drehmomentstarke Dieselmotoren lange Zeit der Schlüssel zum Erfolg. Hier hatten die Japaner oft das Nachsehen gegen die TDI-, CDI- und d-Motoren der Deutschen.
- Der SUV-Boom: Ab Mitte der 2000er Jahre begann der unaufhaltsame Aufstieg der SUVs. Kunden, die früher eine große Limousine oder einen Kombi kauften, wanderten zunehmend ins SUV-Lager ab. Nissan selbst forcierte diesen Trend massiv mit Modellen wie dem Qashqai und X-Trail und vernachlässigte dafür die klassischen Limousinen.
- Markenimage und Positionierung: Marken wie Nissan (oder auch Honda und Toyota in diesem Segment) wurden in Europa primär als Hersteller zuverlässiger, aber eher pragmatischer Klein- und Kompaktwagen wahrgenommen. Das für eine Oberklasse-Limousine nötige Premium-Image fehlte oft. Lexus (Toyota) und Infiniti (Nissan) versuchten, diese Lücke zu füllen, scheiterten aber außerhalb kleiner Nischen ebenfalls (Infiniti zog sich komplett zurück).
- Globalisierung vs. Regionalisierung: Die Entwicklungskosten für Autos stiegen. Hersteller mussten sich entscheiden, welche Modelle sie global anbieten und welche nur für spezifische Märkte. Limousinen wie der Altima wurden primär für Nordamerika und Asien optimiert, wo die Kundenvorlieben (Design, Fahrwerkabstimmung) andere sind als in Europa. Eine teure Anpassung für die (im Vergleich) kleinen europäischen Stückzahlen lohnte sich oft nicht mehr.
Der technische Kompromiss der japanischen Limousinen war oft ihre mangelnde Anpassung an den europäischen Geschmack, insbesondere bei Fahrwerk und Motoren. Der “Preis” dafür war der schleichende Bedeutungsverlust und schließlich der Rückzug vom Markt.
Was bietet der aktuelle Nissan Altima (L34) in den USA?
Ein Blick auf das aktuelle US-Modell zeigt, was uns hier theoretisch entgeht:
- Design: Eine dynamisch gezeichnete Limousine mit Nissans aktueller “V-Motion”-Front.
- Motoren: Wahlweise ein 2.5-Liter Vierzylinder-Sauger (ca. 190 PS) oder ein hochmoderner 2.0-Liter VC-Turbo (Variable Compression) mit ca. 250 PS. Dieser Motor kann sein Verdichtungsverhältnis anpassen, um entweder maximale Leistung oder maximale Effizienz zu liefern – eine Technologie, die auch Infiniti (QX50) nutzte.
- Antrieb: Frontantrieb oder optionaler Allradantrieb. Getriebe ist meist ein stufenloses CVT.
- Technik: Moderne Assistenzsysteme (Nissan ProPILOT Assist), großes Touchscreen-Infotainment, komfortorientiertes Fahrwerk.
Es ist ein kompetentes, modernes Auto – aber eben eines, das mit seinem CVT-Getriebe und der auf US-Verhältnisse ausgelegten Abstimmung in Deutschland gegen einen BMW 3er oder einen VW Passat einen schweren Stand hätte.
Könnte ein Grauimport eine Option sein?
Technisch ja, wirtschaftlich nein. Ein Grauimport eines aktuellen Nissan Altima nach Deutschland wäre möglich, aber absolut sinnlos.
- Kosten: Der Preisvorteil aus den USA würde durch Transport, Zoll, Einfuhrumsatzsteuer und die aufwendige Homologation (insbesondere Abgasgutachten für den VC-Turbo) zunichtegemacht. Das Auto wäre am Ende teurer als etablierte europäische Konkurrenten.
- Service & Ersatzteile: Es gibt kein offizielles Service-Netz für dieses Modell. Nissan-Werkstätten hierzulande haben weder die Diagnosesoftware noch die spezifischen Ersatzteile auf Lager. Jede Reparatur würde zum Albtraum.
- Wiederverkauf: Als absoluter Exot wäre der Wertverlust dramatisch.
Tipp der HH-AUTO Redaktion: Finger weg vom Altima-Import. Wer eine zuverlässige japanische Mittelklasse-Alternative sucht, wird eher bei gebrauchten Lexus IS/ES oder bei aktuellen Modellen wie dem (allerdings größeren) Toyota Camry fündig, der hier offiziell angeboten wird.
Zukünftiger Ausblick: Gibt es eine Chance auf ein Comeback?
Ein Comeback des Altima oder einer ähnlichen Nissan-Limousine in Deutschland ist ausgeschlossen. Die Gründe für den Rückzug bestehen fort: Dominanz der deutschen Premium-Marken, anhaltender SUV-Trend und Nissans Fokus auf Elektroautos (wie den Ariya) und Crossover. Die Ära der klassischen japanischen Mittelklasse-Limousine in Europa ist vorbei. Ihre Rolle haben entweder Premium-Ableger (Lexus), SUVs oder mittlerweile Elektro-Limousinen übernommen. Der Nissan Altima bleibt eine Erinnerung an eine Zeit, in der die Autowelt noch anders aussah.




















