Umfassender Test des Nissan Ariya (2025): Design-Highlight mit Lade-Schwäche?

Als Nissan mit dem Ariya sein erstes, von Grund auf neu entwickeltes Elektro-Crossover vorstellte, waren die Vorschusslorbeeren groß. Das Design – eine Mischung aus Coupé und SUV mit japanisch inspiriertem Minimalismus – begeisterte. Der Innenraum versprach Lounge-Atmosphäre und innovative Technik. Doch nach dem Marktstart 2022 wurde es etwas ruhiger um den Hoffnungsträger. Die Konkurrenz im elektrischen C-SUV-Segment ist explodiert. Wir klären im Test des aktuellen Modelljahres 2025, ob der Ariya mehr ist als nur ein hübsches Gesicht und ob seine Technik – insbesondere die Ladeleistung – noch mithalten kann.

Was ist der Nissan Ariya und für wen ist er gedacht?

Der Nissan Ariya ist ein 4,60 Meter langes, vollelektrisches Crossover-SUV. Er basiert auf der CMF-EV-Plattform, die er sich unter anderem mit dem Renault Megane E-Tech teilt. Nissan positioniert den Ariya klar oberhalb des Leaf und zielt auf das Premium-Volumensegment – also auf Konkurrenten wie VW ID.4/ID.5, Skoda Enyaq, Hyundai Ioniq 5 oder Tesla Model Y. Er spricht Kunden an, die Wert auf ausdrucksstarkes Design, hohen Fahrkomfort und einen besonders hochwertig gestalteten Innenraum legen. Er ist die stilvolle, komfortorientierte Alternative für jene, denen ein Tesla zu karg, ein VW zu nüchtern und ein Hyundai/Kia zu extrovertiert ist.

Welche Antriebs- und Batterieoptionen gibt es?

Nissan bietet den Ariya mit zwei Batteriegrößen und wahlweise Front- oder Allradantrieb an, was zu einer breiten Palette führt.


  1. 63 kWh Akku (netto): Die Basisversion, ausschließlich mit Frontantrieb und 160 kW (218 PS). WLTP-Reichweite: bis zu 404 km. Ideal für preisbewusste Käufer und den urbanen/regionalen Einsatz.
  2. 87 kWh Akku (netto): Die Long-Range-Option.
    • Als Fronttriebler mit 178 kW (242 PS). Maximale WLTP-Reichweite: bis zu 536 km. Die effizienteste Variante für Langstreckenfahrer.
    • Als e-4ORCE Allrad mit zwei Motoren und 225 kW (306 PS) Systemleistung. WLTP-Reichweite: bis zu 509 km. Bietet bessere Traktion und Performance.
    • Als e-4ORCE Performance mit 290 kW (394 PS) Systemleistung. WLTP-Reichweite: bis zu 400 km. Das sportliche Topmodell mit Fokus auf Dynamik.

Die Achillesferse: Wie schlägt sich der Ariya beim DC-Laden (max. 130 kW)?

Hier liegt der größte technische Kompromiss und der Hauptkritikpunkt am Ariya. Während viele Konkurrenten (insbesondere die Koreaner mit 800V oder Tesla) Ladeleistungen von 170 kW bis über 250 kW bieten, ist der Ariya auf maximal 130 kW DC-Ladeleistung limitiert. Das gilt für beide Batteriegrößen.

Mini-Fallstudie: Der Autobahn-Ladestopp (87 kWh Akku)


  • Problem: Längere Reise, Akku muss von 10 % auf 80 % geladen werden.
  • Aktion: Anfahrt an eine HPC-Säule (z.B. 300 kW).
  • Messbares Ergebnis: Der Ariya erreicht zwar kurzzeitig seine Peak-Leistung von 130 kW, hält diese aber nicht lange. Die Ladekurve fällt relativ früh ab. Die Ladung von 10 % auf 80 % dauert unter optimalen Bedingungen rund 35-40 Minuten.

Im Vergleich: Ein Hyundai Ioniq 5 oder Kia EV6 erledigt denselben Ladevorgang in ca. 18 Minuten. Ein Tesla Model Y benötigt ca. 25-30 Minuten. Der Ariya ist hier spürbar langsamer. Für die Langstrecke bedeutet das längere Zwangspausen. Der “Preis” für das schicke Design ist eine nicht mehr ganz zeitgemäße Ladegeschwindigkeit. AC-Laden ist hingegen mit bis zu 22 kW (optional, Serie 7,4 kW) möglich, was im Alltag an öffentlichen Säulen ein Vorteil ist.

Historischer Kontext: Vom Leaf-Pionier zum Design-Führer?

Nissan war mit dem Leaf (ab 2010) ein absoluter Pionier der Elektromobilität im Massenmarkt. Jahrelang war der Leaf das meistverkaufte E-Auto der Welt. Doch während die Konkurrenz aufholte und überholte, wirkte Nissan lange Zeit zögerlich. Der Ariya sollte der Befreiungsschlag sein, der Nissan zurück an die Spitze katapultiert – diesmal nicht als reiner Preis-Leistungs-Sieger, sondern als Design- und Technologieführer.

Er basiert auf der modernen CMF-EV-Plattform, die viel Flexibilität bietet. Der technische Kompromiss war jedoch die Entscheidung für die 400-Volt-Architektur mit begrenzter Ladeleistung, vermutlich um Kosten zu sparen und die Plattform-Synergien mit Renault zu nutzen. Während das Design und der Innenraum den Führungsanspruch unterstreichen, limitiert die Ladetechnik diesen Anspruch im direkten Vergleich.

Wie fühlt sich der hochgelobte Innenraum an?

Hier hält der Ariya, was sein Äußeres verspricht. Der Innenraum ist eine Oase der Ruhe und des guten Geschmacks. Das Design ist minimalistisch, luftig und nutzt hochwertige Materialien (Stoff-Applikationen, Holz-Optik, Soft-Touch).

Die Highlights:

  • Die verschiebbare Mittelkonsole: Per Knopfdruck lässt sich die gesamte Konsole elektrisch vor- und zurückfahren, um den Fußraum anzupassen oder Ablagen neu zu positionieren. Ein cleveres und luxuriöses Feature.
  • Das “Andon”-Licht: Indirekte Beleuchtungselemente im Fußraum und unter dem Armaturenbrett schaffen eine wohnliche Lounge-Atmosphäre.
  • Die haptischen Tasten: Wichtige Klimafunktionen sind als beleuchtete, berührungsempfindliche Tasten in die Holzoptik-Leiste integriert und geben ein leichtes Vibrationsfeedback. Ein guter Kompromiss zwischen Clean-Look und Bedienbarkeit.

Zwei 12,3-Zoll-Displays (Instrumente und Infotainment) bilden das Cockpit. Das System ist umfangreich, aber nicht immer ganz intuitiv und grafisch weniger brillant als bei den Koreanern oder Deutschen. Das Platzangebot ist vorne wie hinten sehr gut, der ebene Boden im Fond schafft viel Beinfreiheit. Der Kofferraum ist mit 468 Litern (415 L beim e-4ORCE) klassenüblich, ein Frunk fehlt jedoch.

Wie fährt er sich? Ist der e-4ORCE-Allrad ein echter Mehrwert?

Der Ariya ist klar auf Komfort ausgelegt. Das Fahrwerk ist weich abgestimmt und filtert Unebenheiten sehr gut heraus. Die Lenkung ist leichtgängig und präzise, aber gefühlsarm. Das macht ihn zu einem exzellenten Reisewagen, aber nicht zum Kurvenräuber.

Der optionale e-4ORCE Allradantrieb ist dabei mehr als nur ein Traktions-Plus im Winter. Das System nutzt zwei E-Motoren, um die Kraft nicht nur zwischen Vorder- und Hinterachse, sondern auch per Bremseingriff zwischen den einzelnen Rädern zu verteilen (Torque Vectoring). Das Resultat ist ein spürbar neutraleres und stabileres Fahrverhalten in Kurven. Wankbewegungen werden reduziert, und die Traktion am Kurvenausgang ist souverän. Der Mehrpreis für e-4ORCE lohnt sich für alle, die Wert auf maximale Fahrstabilität und Sicherheit legen.

Tipp von Alex Wind: Nutzen Sie den “e-Pedal Step”-Modus. Anders als das volle One-Pedal-Driving früherer Nissan-Modelle bremst dieser Modus das Fahrzeug stark ab, kommt aber nicht zum kompletten Stillstand (erst durch das Bremspedal). Das ist ein guter Kompromiss für entspanntes Fahren im Stadtverkehr, ohne das Gefühl des “Kriechens” an der Ampel zu verlieren.

Anekdote: Japanische Gastfreundschaft auf Rädern

Bei einer längeren Testfahrt fiel mir auf, wie entspannend der Ariya ist. Es ist nicht nur die Ruhe des E-Antriebs. Es ist die Kombination aus dem weichen Fahrwerk, den bequemen Sitzen (“Zero Gravity”-Design) und der wohnlichen Atmosphäre im Innenraum. Man fühlt sich weniger wie in einem Auto, mehr wie in einer modernen japanischen Lounge. Selbst nach mehreren Stunden Fahrt stieg ich entspannter aus als bei vielen deutschen Konkurrenten. Der Ariya entschleunigt auf eine sehr angenehme Art – das ist seine wahre Stärke jenseits von Ladekurven und Sprintzeiten.

Zukünftiger Ausblick: Nissans E-Strategie nach dem Ariya

Der Ariya war ein wichtiger Schritt, aber Nissan plant bereits weiter. Die CMF-EV-Plattform wird weiter genutzt (z.B. für den kommenden elektrischen Nachfolger des Micra). Gleichzeitig entwickelt Nissan eigene, neue E-Plattformen und arbeitet intensiv an der Feststoffbatterie-Technologie, die ab ca. 2028/2029 Marktreife erlangen soll. Der Ariya ist somit ein Brückenmodell – technologisch modern, aber noch nicht der finale Schritt in Nissans E-Zukunft. Das Facelift wird vermutlich eine verbesserte Ladeleistung bringen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Die andere Seite der Medaille: Was ist das stärkste Argument GEGEN den Ariya?

Neben der bereits erwähnten, limitierten DC-Ladeleistung von 130 kW ist das stärkste Gegenargument die Preisgestaltung in Relation zur gebotenen Ladeperformance und Effizienz. Der Ariya ist kein günstiges Auto. Gerade die attraktiven Modelle mit dem großen 87 kWh Akku und e-4ORCE Allrad starten bei über 55.000 Euro und können mit Ausstattung die 65.000-Euro-Marke knacken.

In diesem Preisbereich gibt es Konkurrenten (Tesla Model Y LR, Hyundai Ioniq 5, Kia EV6), die entweder deutlich schneller laden, effizienter sind (mehr Reichweite aus einer ähnlichen Akkugröße holen) oder mehr Leistung bieten. Man muss das Design und den Innenraum des Ariya wirklich lieben, um bereit zu sein, die technischen Kompromisse bei der Ladegeschwindigkeit in Kauf zu nehmen.

Merkmal
Nissan Ariya 87kWh e-4ORCE
VW ID.4 Pro 4Motion (77kWh)
Hyundai Ioniq 5 AWD (77,4kWh)
Tesla Model Y LR AWD
Leistung
306 PS
299 PS
325 PS
ca. 514 PS
Akku (Netto)
87 kWh
77 kWh
77,4 kWh
ca. 75 kWh
Max. Reichw. (WLTP)
509 km
517 km
481 km
533 km
Max. Ladeleist. (DC)
130 kW
170 kW
ca. 230 kW (800V)
ca. 250 kW
Ladezeit (10-80%)
ca. 35-40 Min.
ca. 30 Min.
ca. 18 Min.
ca. 27 Min.
Preis (Basis AWD LR)
ca. 56.500 €
ab 53.755 €
ab 54.400 €
ab 54.990 €

Fazit: Der Nissan Ariya ist auch 2025 noch ein wunderschönes, extrem komfortables und hochwertig verarbeitetes Elektro-SUV mit einem einzigartigen Innenraumkonzept. Seine Stärken liegen im Design und im entspannten Fahrerlebnis. Die Achillesferse bleibt jedoch die auf 130 kW limitierte DC-Ladeleistung, die ihn auf der Langstrecke langsamer macht als viele seiner Hauptkonkurrenten. Wer primär im Alltag unterwegs ist und Wert auf Stil und Komfort legt, findet im Ariya eine überzeugende Alternative. Wer jedoch häufig lange Strecken fährt und Wert auf minimale Ladestopps legt, sollte sich die Konkurrenz genau ansehen.

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