Cadillac wagt den Neustart in Europa – rein elektrisch. Nach Jahren der Abwesenheit vom Massenmarkt kehrt die amerikanische Luxusmarke mit einem ambitionierten Ziel zurück: die etablierte deutsche Premium-Konkurrenz im Zukunftsfeld der Elektromobilität herauszufordern. Das Speerspitzenmodell dieser Offensive ist der Lyriq, ein großes, extravagant gezeichnetes SUV auf General Motors’ neuer Ultium-Plattform. Mit einem riesigen 33-Zoll-Display im Cockpit und dem Versprechen amerikanischen Luxuskomforts will er gegen BMW iX, Audi Q8 e-tron und Mercedes EQE SUV antreten. Hat er das Zeug dazu?
Was ist der Cadillac Lyriq und was macht ihn besonders?
Der Lyriq ist ein knapp fünf Meter langes, fünfsitziges Luxus-SUV und das erste Modell von Cadillac, das von Grund auf als Elektroauto konzipiert wurde. Er basiert auf der modularen Ultium-Plattform von GM, die auch Modelle wie den Chevrolet Blazer EV oder den GMC Hummer EV trägt. Sein Design ist ein klares Statement: scharfe Linien, eine dramatische Front mit vertikalen LED-Leuchten und einem beleuchteten “Black Crystal”-Grill sowie ein markantes Heck mit geteilten, ebenfalls vertikalen Rückleuchten. Er will auffallen und anders sein als die europäische Konkurrenz.
Seine Besonderheiten liegen in der Kombination aus:
- Expressivem Design: Er hebt sich optisch deutlich vom Einerlei ab.
- Ultium-Plattform: Bietet eine große Batterie (ca. 102 kWh brutto) und flexible Antriebskonfigurationen.
- Hightech-Cockpit: Das gebogene 33-Zoll-LED-Display mit 9K-Auflösung dominiert den Innenraum.
- Luxus & Komfort: Hoher Geräuschkomfort (Active Noise Cancellation), hochwertige Materialien und ein großzügiges Raumgefühl.
Er richtet sich an technologieaffine Luxuskäufer, die ein komfortables, reichweitenstarkes E-SUV mit amerikanischem Flair und einem Hauch von Avantgarde suchen.
Welche Antriebsvarianten gibt es in Deutschland?
Für den deutschen Markt konzentriert sich Cadillac auf die Top-Versionen des Lyriq:
- Lyriq AWD: Die Allradversion mit zwei Elektromotoren (einer pro Achse). Systemleistung: 388 kW (528 PS) und 610 Nm Drehmoment. Bietet souveräne Fahrleistungen (0-100 km/h in ca. 5,3 s) und ganzjährige Traktion. Dies ist die primär in Deutschland angebotene Variante.
- Lyriq RWD (Heckantrieb): In Nordamerika gibt es auch eine Basisversion mit Heckantrieb (ca. 255 kW / 347 PS). Ob diese auch nach Deutschland kommt, ist unklar, aber zunächst liegt der Fokus auf dem AWD-Modell.
Alle Versionen nutzen die große Ultium-Batterie mit einer nutzbaren Kapazität von ca. 100 kWh.
Wie schlägt sich der Lyriq bei Reichweite und Ladeleistung? Die Ultium-Realität.
Hier zeigt der Lyriq Licht und Schatten, bedingt durch die Ultium-Plattform.
- Reichweite: Dank des großen 100-kWh-Akkus erreicht der Lyriq AWD eine WLTP-Reichweite von bis zu 530 Kilometern. Im realen Testbetrieb sind bei gemischter Fahrweise und moderaten Temperaturen ca. 420 bis 480 Kilometer realistisch. Das ist ein guter Wert für ein großes, schweres SUV (Leergewicht ca. 2,6 Tonnen) und absolut langstreckentauglich. Der Verbrauch pendelt sich um 21-24 kWh/100 km ein.
- Ladeleistung: Der Lyriq nutzt eine 400-Volt-Architektur. Die maximale DC-Ladeleistung beträgt bis zu 190 kW.
Mini-Fallstudie: Der Lyriq am Schnelllader
- Problem: Großer Akku muss auf der Langstrecke geladen werden (z.B. von 10 %).
- Aktion: Ansteuern einer HPC-Säule (≥ 200 kW). Die Batterie-Vorkonditionierung (automatisch bei Navigation zu Ladesäule) ist wichtig.
- Messbares Ergebnis: Die Ladung von 10 % auf 80 % dauert ca. 30-35 Minuten. Das ist für die Batteriegröße an einem 400V-System ein guter Wert und vergleichbar mit dem BMW iX. 800-Volt-Konkurrenten (Kia EV9, Porsche Macan EV) sind jedoch spürbar schneller.
- AC-Laden: Erfolgt serienmäßig mit 11 kW. Optional sind 22 kW erhältlich, was an öffentlichen AC-Säulen ein großer Vorteil ist (Vollladung in ca. 5-6 Stunden).
Das Highlight: Wie gut ist das 33-Zoll-Display?
Das gebogene 33-Zoll-OLED-Display ist das unbestrittene Highlight des Innenraums und technologisch beeindruckend. Es vereint Instrumentenanzeige, Infotainment und Navigation nahtlos unter einer Glasscheibe mit gestochen scharfer 9K-Auflösung.
- Google Built-in: Das System läuft auf Android Automotive OS mit integrierten Google-Diensten (Maps, Assistant, Play Store). Die Bedienung ist weitgehend intuitiv, die Sprachsteuerung exzellent.
- Grafik & Darstellung: Extrem brillant, tolle Farben, perfekte Schwarzwerte. Die grafische Aufbereitung ist hochwertig und modern.
- Bedienung: Neben dem Touchscreen gibt es einen Dreh-Drück-Steller auf der Mittelkonsole und Tasten am Lenkrad. Wichtige Klimafunktionen haben eigene (wenn auch teils berührungsempfindliche) Tasten unterhalb des Hauptbildschirms. Ein guter Kompromiss.
Dieses Display setzt Maßstäbe und verleiht dem Lyriq-Cockpit ein einzigartiges Hightech-Ambiente.
Wie fährt er sich? Amerikanischer Komfort oder europäische Dynamik?
Der Lyriq ist klar auf Komfort und entspanntes Reisen ausgelegt.
- Fahrwerk: Das passive Fahrwerk mit Frequenz-selektiven Dämpfern bietet einen sehr guten Abrollkomfort und filtert die meisten Unebenheiten souverän. Eine Luftfederung ist (bisher) nicht erhältlich.
- Lenkung: Präzise, aber sehr leichtgängig und mit wenig Rückmeldung – typisch amerikanisch.
- Geräuschkomfort: Herausragend. Dank Active Noise Cancellation und guter Dämmung ist es im Innenraum extrem leise.
- Performance (AWD): Der Antritt ist kraftvoll und linear, die 528 PS sorgen für souveräne Beschleunigung. Das hohe Gewicht ist aber spürbar, der Lyriq ist kein agiles Sport-SUV, sondern ein luxuriöser Gleiter.
Wer ein dynamisches Fahrerlebnis sucht, ist bei BMW iX oder Porsche Macan EV besser aufgehoben. Wer maximalen Komfort und Ruhe priorisiert, wird den Lyriq lieben.
Historischer Kontext: Cadillacs steiniger Weg nach Europa
Cadillac hat in Europa eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Mehrere Comeback-Versuche mit importierten US-Modellen scheiterten an mangelnder Anpassung an den europäischen Geschmack, fehlender Diesel-Kompetenz und einem dünnen Händlernetz. Der jetzige Neustart unter der Führung von GM Europe (aus der Schweiz) ist anders: EV-only. Der Lyriq ist das erste Modell dieser neuen Strategie, gefolgt vom kleineren Optiq und dem riesigen Escalade IQ. Cadillac will sich als reine E-Luxusmarke etablieren, abseits des klassischen Verbrenner-Geschäfts. Der Erfolg des Lyriq ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit dieser Strategie.
Was ist das stärkste Argument GEGEN den Lyriq?
Trotz seiner Stärken gibt es auch Kritikpunkte:
- 400-Volt-Architektur: In einer Preisklasse, in der 800 Volt (Porsche, Audi, Genesis, Kia) immer mehr zum Standard werden, wirkt die Ladeleistung von “nur” 190 kW nicht mehr topmodern, auch wenn sie im Alltag gut ist.
- Fehlende Dynamik-Optionen: Keine Luftfederung, keine Hinterachslenkung (wie z.B. im EQE SUV oder iX). Der Fokus liegt sehr stark auf Komfort.
- Software-Reife (Ultium): Obwohl die Probleme des Blazer EV beim Lyriq weniger gravierend schienen, bleibt die Ultium-Software ein potenzieller Unsicherheitsfaktor. Regelmäßige OTA-Updates sind entscheidend.
- Markenimage & Händlernetz: Cadillac muss sich das Vertrauen der deutschen Premium-Kunden erst wieder erarbeiten. Das Händlernetz (primär über ausgewählte Agenten) ist noch im Aufbau und sehr dünn.
Anekdote: Das Leuchten der Begrüßung
Wenn man sich dem Lyriq nähert, beginnt eine beeindruckende Licht-Choreografie. Die vertikalen LEDs vorne und hinten pulsieren, der beleuchtete Grill erwacht zum Leben, das Cadillac-Logo leuchtet auf. Das Auto begrüßt seinen Fahrer förmlich. Dieses kleine Detail unterstreicht den Show-Charakter und den amerikanischen Luxusanspruch des Lyriq perfekt.
Wie schlägt er sich gegen die deutsche Premium-Konkurrenz?
Der Lyriq positioniert sich als komfortable Hightech-Alternative.
Merkmal | Cadillac Lyriq AWD (2025) | BMW iX xDrive50 | Mercedes EQE 500 SUV | Audi Q8 55 e-tron |
Leistung | 528 PS | 523 PS | 408 PS | 408 PS |
Akku (Netto) | ca. 100 kWh | ca. 105 kWh | ca. 91 kWh | 106 kWh |
Max. Reichw. (WLTP) | ca. 530 km | ca. 633 km | ca. 560 km | ca. 575 km |
Spannung (Volt) | 400 V | 400 V | 400 V | 400 V |
Max. Ladeleist. (DC) | 190 kW | 195 kW | 170 kW | 170 kW |
Cockpit | 33″ OLED Curved | Curved Display | Hyperscreen (Opt.) | Virtual Cockpit+ |
Preis (Basis AWD) | ab ca. 80.500 € | ab 102.500 € | ab 99.700 € | ab 89.900 € |
Fazit: Der Cadillac Lyriq ist ein beeindruckender erster Schritt für Cadillacs Elektro-Offensive in Europa. Sein Design polarisiert positiv, das 33-Zoll-Display ist ein echtes Highlight, und der Fahrkomfort ist exzellent. Er bietet viel Reichweite und eine solide Ladeleistung zu einem (im Vergleich zur deutschen Konkurrenz) oft attraktiveren Preis. Die Schwächen liegen in der fehlenden Fahrdynamik-Option und der noch jungen Software-Plattform. Wer ein komfortables, luxuriöses und technologisch fortschrittliches E-SUV mit amerikanischem Flair sucht und über das dünne Händlernetz hinwegsehen kann, findet im Lyriq eine überzeugende und erfrischend andere Alternative im etablierten Premium-Segment.

































