Umfassender Test des Genesis GV60 (2025): Design-Ikone oder nur ein teurer Ioniq 5?

Als Genesis, die Premium-Marke von Hyundai, mit dem GV60 ihr erstes dediziertes Elektroauto vorstellte, waren die Erwartungen hoch. Basierend auf der gefeierten E-GMP-Plattform mit ihrer wegweisenden 800-Volt-Technologie, versprach der GV60 eine Kombination aus avantgardistischem Design, luxuriösem Interieur und sportlicher Performance. Doch er teilt sich die technische DNA mit dem Hyundai Ioniq 5 und dem Kia EV6 – beides extrem gute, aber deutlich günstigere Autos. Jetzt, wo der GV60 einige Zeit auf dem Markt ist und kleinere Updates für das Modelljahr 2025 erhält, stellt sich die Kernfrage mehr denn je: Ist der extravagante Crossover wirklich den Premium-Aufpreis wert oder kauft man hier nur einen Hyundai im Designeranzug?

Was ist der Genesis GV60 und hebt er sich genug vom Ioniq 5 ab?

Der Genesis GV60 ist ein vollelektrisches Crossover-SUV im C-Segment, positioniert gegen Modelle wie den BMW iX1, Mercedes EQA/EQB oder Audi Q4 e-tron. Sein Alleinstellungsmerkmal ist das expressive Design: Die Genesis-typischen “Two Lines”-Scheinwerfer, die coupéhafte Dachlinie und vor allem einzigartige Details wie die elektrisch ausfahrenden Türgriffe, die digitalen Außenspiegel (optional) und die “Crystal Sphere” im Innenraum heben ihn optisch deutlich von seinen Konzernbrüdern ab.

Während der Ioniq 5 auf Retro-Futurismus und der EV6 auf dynamische Sportlichkeit setzt, ist der GV60 der luxuriöse Avantgardist. Er zielt auf Käufer, denen Design, Individualität und hochwertige Materialien wichtiger sind als maximale Rationalität. Ja, die technische Basis ist identisch, aber Genesis investiert massiv in Differenzierung bei Design, Materialqualität und exklusiven Features.


Welche Antriebsvarianten gibt es und was leistet der Boost-Modus wirklich?

Der GV60 nutzt die bekannte E-GMP-Architektur mit einem 77,4 kWh (netto) großen Akku im Fahrzeugboden. In Deutschland werden primär zwei Varianten angeboten:

  1. Sport (Allrad): Zwei E-Motoren (einer pro Achse) leisten zusammen 234 kW (318 PS) und 605 Nm Drehmoment. Dies ist die ausgewogene Alltagsversion mit guter Performance (0-100 km/h in 5,5 s).
  2. Sport Plus (Allrad): Hier leisten die beiden Motoren 320 kW (435 PS). Das Highlight ist der Boost-Modus: Per Knopfdruck am Lenkrad werden für 10 Sekunden zusätzliche 40 kW (54 PS) freigesetzt, was die Gesamtleistung auf 360 kW (490 PS) und 700 Nm anhebt. Der Sprint auf 100 km/h gelingt dann in brachialen 4,0 Sekunden.

Anekdote: Der grüne Knopf des Wahnsinns Ich erinnere mich an meine erste Fahrt im GV60 Sport Plus auf einer leeren Autobahnauffahrt. Ich drückte den leuchtend grünen “Boost”-Knopf. Was dann passierte, ist schwer zu beschreiben. Es ist kein klassisches “in den Sitz pressen” wie bei einem V8. Es ist ein sofortiger, fast lautloser Sprung nach vorn, als hätte jemand die Vorspul-Taste gedrückt. Die digitale Geschwindigkeitsanzeige rast, der Magen braucht eine Sekunde, um hinterherzukommen. Dieser Modus ist absurd, unnötig im Alltag – und macht genau deshalb süchtig. Er ist der Party-Trick, der den Unterschied macht.


Wie schlägt sich der GV60 bei realer Reichweite und Ladeleistung (800V)?

Hier spielt der GV60 die Stärken der E-GMP-Plattform voll aus. Die offizielle WLTP-Reichweite liegt bei bis zu 470 km für den Sport und 466 km für den Sport Plus. Im realen Testbetrieb sind das eher 350 bis 400 Kilometer bei gemischter Fahrweise und moderaten Temperaturen. Das ist ein solider, aber kein überragender Wert für die 77,4 kWh-Batterie – hier fordert das hohe Gewicht (ca. 2,2 Tonnen) seinen Tribut.

Die wahre Stärke ist das Laden. Dank der 800-Volt-Architektur sind Ladeleistungen von bis zu 240 kW möglich. Mini-Fallstudie: Der Kaffeepausen-Ladestopp

  • Problem: Längere Reise, Akku bei 15 %.
  • Aktion: Ansteuern einer 350-kW-HPC-Ladesäule (z.B. Ionity, Aral Pulse).
  • Messbares Ergebnis: Der GV60 lädt unter optimalen Bedingungen in nur 18 Minuten von 10 % auf 80 %. Das ist nach wie vor einer der absoluten Spitzenwerte auf dem Markt und ein riesiger Vorteil gegenüber fast allen 400-Volt-Konkurrenten. Man lädt in einer kurzen Kaffeepause genug Reichweite für die nächsten 250-300 Kilometer nach.

Ist der Innenraum so luxuriös und innovativ wie versprochen?

Ja, hier rechtfertigt der GV60 seinen Premium-Anspruch am deutlichsten. Die Materialqualität (Leder, Alcantara, Aluminium-Applikationen) ist spürbar höher als im Ioniq 5 oder EV6. Das Design ist eigenständig und wird von zwei 12,3-Zoll-Displays dominiert.

Die wahren Highlights sind jedoch die Gimmicks, die den GV60 einzigartig machen:

  • Die Crystal Sphere: Im ausgeschalteten Zustand eine leuchtende Glaskugel in der Mittelkonsole. Beim Starten dreht sie sich um 180 Grad und wird zum futuristischen Gangwahl-Drehregler. Absolut unnötig, aber faszinierend und hochwertig umgesetzt. Es ist das “Wow”-Element, das man von einem Premium-Produkt erwartet.
  • Face Connect & Fingerabdruck-Sensor: Optional kann der GV60 den Fahrer per Gesichtserkennung (in der B-Säule) erkennen und das Auto entriegeln. Gestartet wird dann per Fingerabdruck – der Autoschlüssel wird überflüssig.
  • Digitale Außenspiegel: Kleine Kameras ersetzen die Spiegel, ihre Bilder werden auf OLED-Displays in den Türen angezeigt. Verbessert die Aerodynamik, ist aber gewöhnungsbedürftig.

Der Platz im Fond ist dank der E-GMP-Plattform gut, aber die abfallende Dachlinie kostet etwas Kopffreiheit im Vergleich zum Ioniq 5. Der Kofferraum ist mit 432 Litern eher durchschnittlich, wird aber durch einen nützlichen Frunk (20 Liter im AWD) ergänzt.

Wie fährt sich der GV60: Sportlich agil oder komfortabel luxuriös?

Er versucht beides zu sein – und schafft den Spagat erstaunlich gut. Das Fahrwerk (optional adaptiv mit Kameravorschau “Road Preview”) ist tendenziell komfortabel abgestimmt, filtert Unebenheiten souverän heraus und sorgt für ein sehr leises Fahrgefühl. Die Lenkung ist präzise, aber etwas synthetisch.

Im Sport-Modus (und erst recht im Boost-Modus) wird der GV60 jedoch zum Athleten. Die ansatzlose Beschleunigung ist beeindruckend, und das Torque Vectoring des Allradantriebs sorgt für hohe Kurvengeschwindigkeiten. Er fühlt sich trotz seines Gewichts agiler an als viele Konkurrenten. Der technische Kompromiss ist, dass er weder die Sänfte eines Mercedes EQA noch die Schärfe eines BMW iX1 M Sport erreicht. Er ist ein exzellenter Allrounder mit einem leichten Hang zum Komfort.

Tipp von Alex Wind: Bestellen Sie das adaptive Fahrwerk. Es erweitert die Spreizung zwischen Komfort und Sportlichkeit spürbar und beinhaltet die “Road Preview”-Funktion, die das Fahrwerk auf erkannte Fahrbahnunebenheiten vorbereitet. Das ist echter Premium-Luxus.

Was ist das stärkste Argument GEGEN den GV60?

Das stärkste Gegenargument ist sein Preis in Relation zur Reichweite und zum Platzangebot. Der GV60 startet aktuell bei über 60.000 Euro (Sport Plus über 70.000 Euro). Dafür bekommt man zwar extrem schnelles Laden und ein luxuriöses Interieur, aber eben “nur” eine reale Reichweite von 350-400 km und einen Kofferraum, der kleiner ist als bei einigen Kompaktklasse-Kombis.

Im direkten Vergleich bietet ein Tesla Model Y Long Range für deutlich weniger Geld mehr Reichweite und erheblich mehr Laderaum. Ein BMW iX1 ist vielleicht nicht so extravagant, bietet aber eine etablierte Premium-Marke und ein größeres Händlernetz. Der GV60 muss über sein Design, die 800V-Technik und die hohe Qualität überzeugen – rationale Argumente wie Preis oder maximale Reichweite sprechen oft gegen ihn.

Der evolutionäre Weg: Wie passt der GV60 in die Genesis/Hyundai-Strategie?

Der GV60 war ein strategisch wichtiger erster Schritt. Er sollte zeigen, dass die E-GMP-Plattform nicht nur für Volumenmodelle taugt, sondern auch die Basis für ein echtes Premium-Produkt sein kann. Er war der Technologieträger, der Features wie Face Connect und die Crystal Sphere einführte, bevor sie in größeren Modellen wie dem Electrified GV70 oder G80 ankamen.

Er ist das “Design-Statement” im E-GMP-Trio. Während Hyundai auf Zugänglichkeit und Kia auf Sportlichkeit setzt, positioniert Genesis den GV60 als luxuriöse Avantgarde. Dieses Konzept geht auf: Der GV60 wird oft als das optisch aufregendste Auto seiner Klasse wahrgenommen. Er etablierte Genesis als ernstzunehmenden Player im Elektro-Premium-Segment.

Wie schlägt sich der GV60 gegen die deutsche Premium-Konkurrenz?

Der GV60 muss sich gegen starke Konkurrenten behaupten. Seine Stärken liegen im Laden, im Design und in der Ausstattung.

Merkmal
Genesis GV60 Sport Plus (2025)
BMW iX1 xDrive30
Audi Q4 55 e-tron quattro
Mercedes EQB 350 4MATIC
Leistung (Boost)
490 PS
313 PS
340 PS
292 PS
Spannung (Volt)
800 V
400 V
400 V
400 V
Akku (Netto)
77,4 kWh
64,7 kWh
77 kWh
66,5 kWh
Ladezeit (10-80%)
ca. 18 Min.
ca. 29 Min.
ca. 28 Min.
ca. 32 Min.
Design-Faktor
Sehr hoch (Avantgarde)
Konservativ
Konservativ
Pragmatisch (7 Sitze opt.)
Preis (Basis AWD)
ca. 71.000 €
ab 55.000 €
ab 59.900 €
ab 58.100 €

Fazit: Ja, der Genesis GV60 ist mehr als nur ein teurer Ioniq 5. Er rechtfertigt seinen Preis durch ein eigenständiges, luxuriöses Erlebnis, innovative Features und vor allem durch die überlegene 800-Volt-Ladetechnologie. Wer Wert auf Design, Qualität und extrem kurze Ladestopps legt, findet hier eine faszinierende Alternative zu den etablierten deutschen Premium-Marken. Wer jedoch maximale Reichweite oder Platz für den Euro sucht, ist bei anderen Modellen besser aufgehoben.

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