Retrospektive & Kaufratgeber: Jaguar I-PACE (bis 2025) – Lohnt sich der Elektro-Pionier am Ende seiner Ära?

Er war Jaguars mutiger Sprung ins Elektrozeitalter, ein Paukenschlag, der 2018 einschlug wie eine Bombe. Der I-PACE sah anders aus, fuhr sich anders und heimste Preise ein wie kaum ein anderes Auto seiner Zeit, inklusive des begehrten Titels “World Car of the Year”. Er war der erste ernsthafte europäische Premium-Konkurrent für Tesla. Doch die Zeit rennt, und Jaguar erfindet sich unter dem Motto “Reimagine” komplett neu. Das bedeutet auch: Der Vorreiter I-PACE fährt aufs Abstellgleis, seine Produktion endet bald. Ist der einstige Star also nur noch ein Fall fürs Museum? Oder gerade jetzt als junger Gebrauchter eine clevere Wahl für Individualisten? Eine kritische Bilanz zum Abschied.

Was war der Jaguar I-PACE (X590) und was machte ihn besonders?

Der Jaguar I-PACE (X590) war ein rein elektrisches Crossover-SUV der Premium-Mittelklasse, basierend auf einer eigenständigen JLR-Elektroplattform. Er wurde stets mit Allradantrieb (zwei Motoren) und einer ca. 90 kWh (brutto) Batterie angeboten. Sein Design war geprägt von der Cab-Forward-Architektur mit kurzer Haube, langer Kabine und knackigem Heck.

Dieser Wagen war eine Sensation. Jaguar, die Marke mit den langen Hauben und blubbernden Motoren, baute plötzlich das hier. Ein Elektroauto, das aussah wie eine Studie, mit Platzverhältnissen fast wie in der Oberklasse (dank langem Radstand und flachem Boden) und Fahrdynamik auf Sportwagen-Niveau. Das tief liegende Akkupaket, die ausgeglichene Gewichtsverteilung, die präzise Lenkung – der I-PACE fuhr sich wie kein anderes SUV seiner Zeit, unglaublich agil und direkt. Dazu kam ein hochwertiges Interieur mit (damals modernen) Doppel-Touchscreens. Er war kein Tesla-Klon, sondern ein eigenständiger Entwurf, der zeigte, dass E-Autos auch Charakter haben können. Er richtete sich an dynamische Fahrer, Technik-Fans und Design-Liebhaber, die bereit waren, für einen frühen Einstieg in die Premium-E-Mobilität tief in die Tasche zu greifen.


Warum wird der I-PACE eingestellt und bekommt keinen direkten Nachfolger?

Die Einstellung des I-PACE (voraussichtlich Ende 2024 / im Laufe 2025) ist Teil von Jaguars radikaler “Reimagine”-Strategie. Die Marke positioniert sich ab 2025 komplett neu als ultraluxuriöse, rein elektrische Marke mit deutlich höheren Preisen und geringeren Stückzahlen, basierend auf der neuen JEA-Plattform. Der I-PACE passt mit seiner (mittlerweile älteren) Plattform und seiner Positionierung nicht mehr in dieses neue Konzept. Er wird ersatzlos gestrichen.

Es ist bitter, aber konsequent. Der I-PACE war ein Pionier, aber seine Plattform ist technologisch nicht mehr auf dem allerneuesten Stand (Stichwort: Ladeleistung). Und Jaguar will weg vom Volumen-Premium, hin zum exklusiven Luxus-Segment, quasi als Elektro-Bentley. Da ist kein Platz mehr für einen Konkurrenten zu BMW iX3 oder Audi Q8 e-tron. Schade um ein tolles Auto, das vielleicht einfach zur falschen Zeit kam oder dessen Potenzial Jaguar nie voll ausgeschöpft hat. Sein Ende ist ein Opfer auf dem Altar der Neupositionierung.


Wie schlägt sich der I-PACE bei Reichweite und Laden heute noch?

Der I-PACE verfügt über eine 90 kWh (brutto) / ca. 84,7 kWh (netto) Batterie. Die WLTP-Reichweite liegt bei bis zu 470 km. Er nutzt eine 400-Volt-Architektur. AC-Laden erfolgt (seit einem Update ca. 2020/21) dreiphasig mit 11 kW (frühe Modelle nur 7 kW einphasig!). Die maximale DC-Ladeleistung beträgt 100 kW (kurzzeitig bis 120 kW möglich).

470 km WLTP? Das klang 2018 super, ist heute guter Durchschnitt. Im realen Betrieb sind es eher 330 bis 380 Kilometer bei gemischter Fahrweise. Auf der Autobahn (130 km/h) sinkt die Reichweite auf ca. 280-320 Kilometer. Das ist okay, aber Konkurrenten mit ähnlichen Akkugrößen (iX, Q8 e-tron) kommen oft weiter. Der I-PACE ist kein Effizienz-Wunder (Realverbrauch um 22-26 kWh/100 km). Und das Laden? Die 100 kW DC maximal sind die größte Schwachstelle. Mini-Fallstudie: Der I-PACE am Schnelllader

  • Problem: Akku muss von 10 % auf 80 % geladen werden.
  • Aktion: Ansteuern einer HPC-Säule (≥ 100 kW).
  • Messbares Ergebnis: Die Ladung dauert mindestens 40-45 Minuten, oft sogar länger, da die Ladekurve früh abfällt.

Das ist im Vergleich zu modernen E-Autos (die oft nur 25-30 Minuten brauchen) einfach zu langsam. Hier merkt man das Alter der Plattform am deutlichsten. Immerhin: Die 11 kW AC (bei Modellen ab ca. 2021) sind gut für das Laden über Nacht oder am Ziel. Aber die Langstreckentauglichkeit leidet unter der mäßigen DC-Ladeperformance. Das muss man klar sagen.

Tipp von Alex Wind: Beim Gebrauchtkauf unbedingt auf das dreiphasige 11 kW AC-Ladegerät achten! Frühe Modelle mit nur 7 kW einphasig sind beim AC-Laden extrem langsam und weniger alltagstauglich. Baujahre ab Ende 2020 / Anfang 2021 sind klar zu bevorzugen.

Ist der Innenraum immer noch konkurrenzfähig?

Das Interieur des I-PACE bietet hochwertige Materialien und eine gute Verarbeitung. Das Cockpit wird dominiert vom “Touch Pro Duo”-System (zwei Touchscreens in der Mittelkonsole) und einem digitalen Kombiinstrument. Das Platzangebot ist dank der E-Plattform gut, der Kofferraum fasst 656 bis 1453 Liter plus einen kleinen Frunk (27 Liter).

Das Design? Immer noch schick, sehr fahrerorientiert, fast wie in einem Sportwagen. Die Materialien? Leder, Soft-Touch, Aluminium – das passt zum Premium-Anspruch. Das Platzangebot? Vorne super, hinten okay (Beinfreiheit gut, Kopffreiheit durchs abfallende Dach eingeschränkt). Der Kofferraum ist großzügig. Aber das Touch Pro Duo Infotainment? Das war schon bei der Einführung nicht das schnellste und wirkt heute veraltet. Es ist oft träge, die Menüführung verschachtelt. Zwar gab es Updates und später die Integration von Pivi Pro (zumindest teilweise?), aber es bleibt der Schwachpunkt im ansonsten hochwertigen Innenraum. Kabelloses CarPlay/Android Auto fehlt oft. Hier haben neuere Konkurrenten klar die Nase vorn.

Wie fährt er sich? Ist er immer noch der Dynamiker im E-SUV-Segment?

Der I-PACE wird von zwei Permanentmagnet-Synchronmotoren angetrieben (Allradantrieb). Die Systemleistung beträgt 294 kW (400 PS) und 696 Nm Drehmoment. Er verfügt über eine Doppelquerlenker-Vorderachse und eine Integral-Link-Hinterachse, optional mit adaptiver Luftfederung.

Ja, das Fahren ist seine Paradedisziplin! Auch Jahre nach seinem Debüt gehört der I-PACE fahrdynamisch zur Spitze. Die Lenkung ist präzise und direkt, das Einlenkverhalten dank des tiefen Schwerpunkts und der ausgeglichenen Gewichtsverteilung extrem agil. Das Torque Vectoring per Bremseingriff hilft zusätzlich. Er fühlt sich leichter und kompakter an, als er ist. Die optionale Luftfederung (sehr empfehlenswert!) bietet eine tolle Spreizung zwischen Komfort und Sportlichkeit. Die Beschleunigung (0-100 km/h in 4,8 s) ist immer noch beeindruckend und absolut ansatzlos. Er fährt sich mehr wie ein erhöhter Sportwagen als wie ein SUV. Das ist pure Jaguar-DNA, perfekt ins Elektro-Zeitalter übertragen. Chapeau!

Historischer Kontext: Jaguars mutiger, aber einsamer Vorstoß

Der I-PACE war 2018 ein extrem mutiger Schritt. Jaguar war der erste etablierte europäische Premium-Hersteller, der Tesla mit einem von Grund auf neu entwickelten, hochmodernen Elektroauto direkt angriff – lange vor Audi e-tron, Mercedes EQC oder BMW iX3. Er zeigte, wozu JLR technologisch fähig ist. Doch der Mut wurde nur bedingt belohnt. Die Verkaufszahlen blieben hinter den Erwartungen zurück. Gründe dafür waren vielfältig: der hohe Preis, die aufkommende Konkurrenz, vielleicht auch Software-Probleme bei frühen Modellen und die begrenzten Produktionskapazitäten bei Magna Steyr in Graz. Der I-PACE blieb ein Kritikerliebling, aber kein Massenerfolg. Er war ein Pionier, dem aber die breite Gefolgschaft fehlte – und der von der eigenen Marke nun keine direkte Fortsetzung erfährt.

Advokat des Teufels: Was sind die größten Risiken beim Gebrauchtkauf?

  1. Ladeleistung: Die 100 kW DC sind langsam, CHAdeMO gab es nie, nur CCS.
  2. Infotainment: Touch Pro Duo ist veraltet und kann frustrieren.
  3. Zuverlässigkeit (Elektronik/Software): Frühe Modelle litten unter diversen Software-Bugs und Elektronik-Problemen. Achten Sie auf Updates und eine saubere Historie. Die Hochvolt-Batterie scheint aber relativ robust zu sein.
  4. Ersatzteilpreise & Service: Jaguar-Teile sind teuer. Das Servicenetz ist dünner als bei deutschen Marken. Mit dem Produktionsende könnten spezifische Teile schwieriger zu bekommen sein.
  5. Zukunft der Marke: Der radikale Neustart von Jaguar birgt Unsicherheiten bezüglich Service und Werterhalt auch für Auslaufmodelle.

Anekdote: Der stille Jäger

Ich fuhr den I-PACE auf einer kurvigen Landstraße hinter einem Sportwagen her. Im Dynamik-Modus klebte der Jaguar förmlich am Heck des Vordermanns, beschleunigte ansatzlos aus den Kehren, lenkte präzise ein. Das Ganze passierte fast lautlos, nur begleitet vom Surren der E-Motoren und dem Reifenquietschen. Der Fahrer des Sportwagens war sichtlich irritiert, von einem “Elektro-SUV” derart bedrängt zu werden. Dieser Moment zeigte perfekt die Stärke des I-PACE: Er ist ein Wolf im Schafspelz, ein stiller Jäger auf der Landstraße.

Vergleich mit gebrauchten deutschen Konkurrenten

Merkmal (ca. 3-5 Jahre alt)
Jaguar I-PACE EV400
Audi e-tron 55 quattro
Mercedes EQC 400
BMW iX3
Konzept
E-Crossover, AWD
E-SUV, AWD
E-SUV, AWD
E-SUV, RWD
Leistung (ca.)
400 PS
408 PS (Boost)
408 PS
286 PS
Akku (Netto)
ca. 84,7 kWh
ca. 86,5 kWh
80 kWh
74 kWh
Max. Reichw. (WLTP)
ca. 470 km
ca. 440 km
ca. 430 km
ca. 460 km
Max. Ladeleist. (DC)
100 kW
150 kW
110 kW
155 kW
Fahrgefühl
Sehr Agil
Komfortabel, Schwer
Komfortabel
Ausgewogen
Preis (Index)
Attraktiv
Mittel
Mittel
Eher Hoch

Fazit: Der Jaguar I-PACE ist auch am Ende seiner Produktionszeit ein faszinierendes Elektroauto. Sein Design ist immer noch ein Hingucker, die Fahrdynamik gehört zum Besten im Segment, und das Platzangebot ist gut. Als Gebrauchter ist er oft zu sehr attraktiven Preisen zu finden. Die größten Nachteile sind die langsame DC-Ladeleistung und das veraltete Infotainment (bei Modellen vor Pivi Pro). Wer ein charakterstarkes, fahraktives E-SUV sucht, primär zu Hause oder am Ziel lädt und über die Schwächen hinwegsehen kann, findet im I-PACE einen echten Geheimtipp mit viel Stil und Fahrspaß. Ein würdiger Pionier tritt ab – vielleicht eine letzte Chance auf einen zukünftigen Klassiker?

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