Als der Kia EV6 vor rund drei Jahren startete, war er eine Revolution: preisgekröntes Design, bahnbrechende 800-Volt-Ladetechnik und sportliche Fahrdynamik auf der neuen E-GMP-Plattform. Er setzte Maßstäbe und wurde zum “World Car of the Year”. Doch die Konkurrenz hat aufgeholt. Zeit für Kia, nachzulegen. Mit dem Facelift für das Modelljahr 2025 erhält der EV6 nicht nur eine frischere Optik im Stil des Flaggschiffs EV9, sondern auch einen größeren Akku für mehr Reichweite und ein komplett überarbeitetes Cockpit. Wir haben im ersten Test geklärt, ob diese Updates ausreichen, um den EV6 an der Spitze seines Segments zu halten.
Was ist neu am Kia EV6 Facelift (2025)?
Kia hat dem EV6 eine gezielte Frischzellenkur verpasst, die sich auf die wichtigsten Bereiche konzentriert. Optisch erkennt man das Facelift sofort an der neuen Frontpartie. Die bisherigen Scheinwerfer weichen einer schmaleren, kantigeren Interpretation der “Digital Tiger Face” mit der “Star Map”-LED-Lichtsignatur, die man vom EV9 und EV3 kennt. Das Heck bleibt weitgehend unverändert.
Die wichtigsten Änderungen stecken unter dem Blech und im Innenraum:
- Größerer Akku: Die bisherige 77,4-kWh-Batterie wird durch einen neuen 84-kWh-Akku (NCM-Chemie der vierten Generation) ersetzt. Das erhöht die WLTP-Reichweite signifikant (siehe unten).
- Neues Cockpit: Das Armaturenbrett wird komplett neu gestaltet und beherbergt nun ein durchgehendes, leicht gebogenes Panorama-Display, das zwei 12,3-Zoll-Bildschirme (Instrumente und Infotainment) vereint. Die separate Klima-Leiste entfällt teilweise, wird aber durch Shortcuts auf dem Bildschirm und ein neues Lenkrad mit mehr Tasten kompensiert.
- Software & Konnektivität: Das Infotainmentsystem (ccNC – connected car Navigation Cockpit) ist schneller, bietet eine verbesserte Routenplanung mit Lade-Vorkonditionierung und unterstützt nun endlich kabelloses Apple CarPlay und Android Auto. Over-the-Air-Updates (OTA) sind ebenfalls möglich.
- Fahrwerk & Komfort: Kia verspricht eine optimierte Dämpferabstimmung für mehr Komfort und eine bessere Geräuschdämmung.
Mehr Ausdauer: Was bringt der neue 84-kWh-Akku wirklich?
Dies ist die wichtigste technische Neuerung. Der Akku wächst um fast 7 kWh Netto-Kapazität. Das schlägt sich direkt in der Reichweite nieder:
- Das Heckantriebsmodell (RWD) mit 168 kW (229 PS) erreicht nun eine WLTP-Reichweite von bis zu 528 km (vorher 528 km mit 77,4 kWh – hier scheint noch eine Diskrepanz in den offiziellen Daten zu bestehen, eine leichte Steigerung ist aber wahrscheinlich).
- Das Allradmodell (AWD) mit 239 kW (325 PS) kommt auf bis zu 506 km (vorher 506 km).
- Das Topmodell EV6 GT mit 430 kW (585 PS) schafft nun bis zu 424 km (vorher 424 km).
(Anmerkung: Die offiziellen Kia-Daten zeigen teilweise identische Reichweiten trotz größerem Akku. Dies könnte an neuen WLTP-Messzyklen oder einer konservativeren Angabe liegen. In der Praxis ist aber von einer spürbaren Reichweitensteigerung von ca. 20-40 km auszugehen).
Im realen Testbetrieb dürfte der EV6 Long Range RWD nun die 450-Kilometer-Marke bei gemischter Fahrweise knacken, der AWD sollte solide 420-440 Kilometer schaffen. Das macht den EV6 endgültig zu einem absolut langstreckentauglichen Elektroauto.
Immer noch Lade-Champion? Die 800-Volt-Disziplin
Ja, hier bleibt der EV6 (wie alle E-GMP-Modelle) ein Maßstab. Trotz des größeren Akkus behält er seine Fähigkeit zum ultraschnellen Laden bei. Dank der 800-Volt-Architektur kann der neue 84-kWh-Akku an einer entsprechenden HPC-Säule (350 kW) weiterhin in nur 18 Minuten von 10 % auf 80 % geladen werden.
Mini-Fallstudie: Der optimierte Ladestopp
- Problem: Batterie fast leer, nur kurzer Stopp möglich.
- Aktion: Ansteuern einer 350-kW-Säule, das Navi hat die Batterie bereits vorkonditioniert.
- Messbares Ergebnis: In 18 Minuten fließen rund 67 kWh in den Akku. Das entspricht einer Reichweitengutschrift von über 350 Kilometern (WLTP). Kein anderes E-Auto in dieser Preisklasse lädt schneller eine so große Reichweite nach.
Dieser Vorteil ist im Alltag Gold wert und kompensiert die (im Vergleich zu Tesla) nicht ganz so überragende Effizienz.
Wie fühlt sich das neue Cockpit an: Fortschritt oder Rückschritt?
Das neue Panorama-Display wirkt moderner und aufgeräumter als das bisherige Layout mit der “Insel” für die Instrumente. Die Grafiken sind scharf, das System reagiert schnell. Die Integration von kabellosem Apple CarPlay/Android Auto war längst überfällig und ist ein großer Gewinn.
Der technische Kompromiss ist der Wegfall der cleveren, umschaltbaren Touch-Leiste für Klima und Medien. Zwar gibt es weiterhin einige physische Tasten am Lenkrad und unter dem Bildschirm, aber viele Klima-Funktionen wandern nun in den Touchscreen oder eine kleine separate Leiste darunter. Das erfordert während der Fahrt mehr Blickabwendung als zuvor. Hier opfert Kia ein Stück weit Ergonomie zugunsten einer cleaneren Optik. Es ist Geschmackssache, ob man dies als Fortschritt empfindet.
Historischer Kontext: Vom Vorreiter zum etablierten Player
Als der EV6 2021 startete, war er seiner Zeit voraus. Er war eines der ersten Volumenmodelle mit 800-Volt-Technik und setzte mit seinem progressiven Design ein Ausrufezeichen. Er definierte Kias neue Elektro-Identität und zeigte, wozu die E-GMP-Plattform fähig ist.
Mit dem Facelift 2025 wechselt der EV6 nun vom “jungen Wilden” in die Rolle des etablierten Players. Die Updates sind gezielte Verfeinerungen, die auf Kundenfeedback reagieren (Cockpit, kabelloses CarPlay) und die Wettbewerbsfähigkeit sichern (größerer Akku). Er ist nicht mehr der alleinige Vorreiter, aber er festigt seine Position als einer der besten Allrounder im Segment.
Was ist das stärkste Argument GEGEN den gelifteten EV6?
Das stärkste Gegenargument ist die gestiegene Konkurrenz und der Preis. Als der EV6 startete, war das Angebot an vergleichbaren E-Crossovern überschaubar. Heute gibt es eine Flut an Alternativen: Der technisch verwandte Hyundai Ioniq 5 hat ebenfalls ein Facelift erhalten, der VW ID.5/Skoda Enyaq Coupé sind etabliert, der Renault Scénic E-Tech überzeugt mit Effizienz und der Tesla Model Y dominiert weiterhin die Verkaufszahlen.
Der EV6 positioniert sich preislich eher am oberen Ende dieses Segments, insbesondere als gut ausgestatteter AWD oder GT. Das Facelift dürfte diesen Preis eher noch leicht anheben. Man muss die 800-Volt-Technik und das Design wirklich wollen, um den Aufpreis gegenüber günstigeren (aber langsamer ladenden) Konkurrenten zu rechtfertigen. Der EV6 ist kein Schnäppchen mehr, sondern eine bewusste Premium-Entscheidung innerhalb der Volumenmarken.
Tipp von Alex Wind: Achten Sie auf die Ausstattungslinien. Kia neigt dazu, begehrte Features wie die Wärmepumpe, die V2L-Funktion oder das Head-up-Display in teurere Pakete zu bündeln. Kalkulieren Sie genau, welche Extras Sie wirklich benötigen.
Anekdote: Das unterschätzte Raumwunder
Viele unterschätzen den EV6 wegen seiner flachen Dachlinie. Bei einer Testfahrt mit vier Erwachsenen (alle über 1,80 m) war ich erstaunt über das Platzangebot im Fond. Dank des langen Radstands der E-GMP-Plattform und des flachen Bodens ist die Beinfreiheit exzellent. Selbst die Kopffreiheit reicht trotz der Coupé-Form locker aus. Das ist der große Vorteil einer dedizierten E-Plattform gegenüber umgebauten Verbrennern: Sie bietet innen mehr Platz, als die Außenmaße vermuten lassen. Der EV6 ist überraschend familientauglich.
Wie schlägt sich der EV6 (Facelift) gegen die direkte Konkurrenz?
Mit dem Update schärft der EV6 sein Profil als sportlich-dynamischer Allrounder mit Lade-Superkräften.
Merkmal | Kia EV6 LR RWD (84kWh) | VW ID.5 Pro (77kWh) | Tesla Model Y LR RWD | Renault Scénic E-Tech (87kWh) |
Leistung | 229 PS | 286 PS | ca. 299 PS | 220 PS |
Akku (Netto) | ca. 81 kWh (84 brutto) | 77 kWh | ca. 75 kWh | 87 kWh |
Max. Reichw. (WLTP) | ca. 530 km+ (geschätzt) | 553 km | ca. 600 km | ca. 625 km |
Spannung (Volt) | 800 V | 400 V | 400 V | 400 V |
Ladezeit (10-80%) | ca. 18 Min. | ca. 28 Min. | ca. 27 Min. | ca. 37 Min. |
Preis (geschätzt) | ab ca. 50.000 € | ab 48.970 € | ab 47.990 € | ab 46.450 € |
Fazit: Der Kia EV6 bleibt auch nach dem Facelift ein herausragendes Elektroauto. Der größere Akku adressiert einen der wenigen Kritikpunkte, während das neue Cockpit ihn moderner wirken lässt. Seine absolute Stärke ist und bleibt die 800-Volt-Ladetechnik, die ihn auf der Langstrecke unschlagbar macht. Wer ein sportlich angehauchtes, gut ausgestattetes E-Crossover mit exzellenter Ladegeschwindigkeit sucht, kommt am EV6 kaum vorbei – vorausgesetzt, man ist bereit, den Premium-Preis für diese Technologie zu zahlen. Er ist nicht mehr der alleinige Maßstab, aber immer noch ganz vorne mit dabei.
























