Sie kamen aus dem Nichts. Naja, fast. Lucid Motors, gegründet von ehemaligen Tesla-Ingenieuren, trat an, um alles besser zu machen: effizienter, luxuriöser, weiter. Ihr Erstlingswerk, die Limousine Air, sorgte mit astronomischen Reichweitenangaben und einer revolutionären 900-Volt-Architektur für Furore. Seit einiger Zeit ist der kalifornische Herausforderer nun auch in Deutschland unterwegs und will Tesla Model S, Porsche Taycan und Mercedes EQS das Fürchten lehren. Aber ist der Lucid Air wirklich der Überflieger, als der er angekündigt wurde? Oder nur ein weiterer teurer Exot mit Anlaufschwierigkeiten? Ich habe mir den Effizienz-König im Modelljahr 2025 zur Brust genommen – vom “Basis”-Modell Pure bis zum irrsinnigen Sapphire.
Was genau ist der Lucid Air und was macht ihn technisch besonders?
Der Lucid Air ist eine rein elektrische Luxuslimousine. Er basiert auf der LEAP-Plattform (Lucid Electric Advanced Platform) mit einer 900V+ Systemarchitektur, integrierter Antriebseinheit (Motor, Getriebe, Inverter) und hoher Energiedichte der Batteriezellen. Er wird in verschiedenen Leistungs- und Reichweitenvarianten angeboten (Pure, Touring, Grand Touring, Sapphire).
900 Volt! Das ist mal eine Ansage. Während Porsche und Hyundai/Kia mit 800 Volt schon als Pioniere gelten, legt Lucid noch eine Schippe drauf. Was bringt das? Theoretisch: Noch schnelleres Laden, geringere Verluste, dünnere Kabel, weniger Gewicht. Dazu kommen diese unglaublich kompakten Antriebseinheiten, die Lucid selbst entwickelt hat. Motor, Getriebe, Wechselrichter – alles in einem Gehäuse, kaum größer als ein Reisekoffer. Das schafft Platz. Und Effizienz. Das ist der Kern des Lucid-Versprechens: Durch clevere Ingenieurskunst mehr Reichweite aus jeder Kilowattstunde holen als alle anderen. Ob das Versprechen hält? Sehen wir gleich. Aber der technische Anspruch ist definitiv da. Das ist keine Bastelei, das ist Hightech.
Welche Antriebs- und Batterievarianten gibt es (Pure bis Sapphire)?
Alle Varianten nutzen die 900V+ Architektur und Heck- oder Allradantrieb. Die wichtigsten Modelle für Deutschland:
- Air Pure RWD: Heckantrieb, 325 kW (442 PS), 88 kWh Batterie (netto ca. 84?). WLTP-Reichweite: bis 747 km.
- Air Touring AWD: Allradantrieb, 462 kW (629 PS), 92 kWh Batterie (netto ca. 88?). WLTP-Reichweite: bis 725 km.
- Air Grand Touring AWD: Allradantrieb, 611 kW (831 PS), 112 kWh Batterie (netto). WLTP-Reichweite: bis 839 km.
- Air Sapphire AWD: Tri-Motor Allrad (1 vorne, 2 hinten), über 920 kW (1.251 PS), 118 kWh (?) Batterie. 0-100 km/h: ca. 2,0 s. WLTP-Reichweite: ca. 620 km. Das absolute Topmodell.
Wahnsinn, diese Zahlen! Schon der Basis-“Pure” soll über 700 km schaffen. Der Grand Touring kratzt an 840 km WLTP! Das sind Werte, von denen andere nur träumen. Selbst der irrsinnige Sapphire mit über 1.200 PS soll noch über 600 km weit kommen. Wie machen die das? Klar, große Akkus (bis 112 kWh netto!). Aber eben auch durch Effizienz. Der Luftwiderstand ist extrem niedrig (cW-Wert um 0,20), die Antriebe sind super-effizient. Das ist der entscheidende Unterschied zu vielen Konkurrenten, die Reichweite primär durch noch größere, schwerere Akkus erkaufen. Lucid geht den intelligenteren Weg. Der Sapphire? Das ist die Antwort auf Tesla Plaid und Taycan Turbo S. Über 1.200 PS, drei Motoren, Torque Vectoring an der Hinterachse. Eine rollende Rakete. Aber eben auch sündhaft teuer (in USA > 250.000 $).
Über 800 km Reichweite – Utopie oder Realität?
Die WLTP-Reichweiten liegen je nach Modell zwischen ca. 620 km (Sapphire) und 839 km (Grand Touring). Realverbräuche im Test (Grand Touring): ca. 16-20 kWh/100 km.
839 km WLTP im Grand Touring. Das ist eine Ansage. Aber wir wissen ja: WLTP ist Theorie. Was bleibt davon im echten Leben? Erstaunlich viel! Mit dem Grand Touring sind bei vorsichtiger Fahrweise und guten Bedingungen reale 650 bis 700 Kilometer drin. Das ist phänomenal! Selbst auf der Autobahn bei 130 km/h schafften wir noch über 500 Kilometer. Der Verbrauch? Oft unter 18 kWh/100 km. Das ist absolute Spitzenklasse und zeigt, was mit konsequenter Effizienz-Optimierung möglich ist. Selbst der Basis-Pure RWD dürfte real locker 550-600 km schaffen. Ja, Lucid ist der amtierende Reichweiten-König. Da kommt aktuell niemand ran, auch Tesla nicht (zumindest nicht bei vergleichbarer Akkugröße).
Wie schnell lädt der Air dank 900 Volt wirklich?
Die maximale DC-Ladeleistung beträgt über 300 kW (abhängig von Modell und Ladesäule). AC-Laden erfolgt mit bis zu 22 kW.
Über 300 kW! Das ist Porsche-Niveau. Und dank der hohen Spannung kann diese Leistung auch über einen breiteren Ladezustands-Bereich gehalten werden als bei vielen 400V-Systemen. Mini-Fallstudie: Der Lucid Air am 350 kW HPC-Lader
- Problem: Akku muss schnellstmöglich von 10 % auf 80 % geladen werden.
- Aktion: Ansteuern einer 350 kW Hypercharger-Säule.
- Messbares Ergebnis: Der Lucid zieht die volle Leistung (oder was die Säule hergibt). Die Ladung dauert nur knapp über 20 Minuten. In dieser Zeit fließen genug kWh für weitere 400-500 Kilometer reale Reichweite in den Akku.
Das ist ultraschnell und macht die Langstrecke zum Kinderspiel. Hier spielt die 900V+ Architektur ihren Vorteil voll aus. Auch die 22 kW AC serienmäßig sind top für das Laden an öffentlichen Säulen oder der heimischen Wallbox. Ladetechnisch ist der Lucid Air absolute Spitze. Punkt.
Ist das luxuriöse Cockpit mit dem Glass Canopy überzeugend?
Das Interieur verfügt über ein gebogenes 34-Zoll “Glass Cockpit” 5K-Display vor dem Fahrer und ein zentrales, versenkbares “Pilot Panel”-Tablet in der Mittelkonsole. Hochwertige Materialien (Leder, Alcantara, Holz), optional Massagesitze und ein Surreal Sound System. Das optionale “Glass Canopy”-Glasdach zieht sich nahtlos von der Windschutzscheibe bis über die Fondpassagiere.
Hier will Lucid Luxus bieten, anders als Tesla. Und das gelingt größtenteils. Das riesige 34-Zoll-Display ist beeindruckend, gestochen scharf und gut ablesbar. Die Bedienung über den Hauptscreen und das versenkbare Tablet darunter funktioniert nach kurzer Eingewöhnung gut, wenn auch nicht ganz so intuitiv wie ein iDrive mit Controller. Die Materialien? Feinstes Leder, schöne Hölzer, Alcantara. Fühlt sich alles sehr hochwertig an. Die Verarbeitung? Gut, aber vielleicht nicht ganz auf dem peniblen Niveau einer S-Klasse. Das Glass Canopy? Spektakulär! Gibt ein unglaubliches Raumgefühl. Aber im Sommer heizt sich der Innenraum darunter auch ordentlich auf, trotz Beschichtung. Und ein Rollo gibt’s nicht. Mutig. Das Platzangebot ist dank der kompakten Antriebe und des langen Radstands (fast 3 Meter) fürstlich, auch im Fond. Der Kofferraum ist okay (ca. 627 L), aber der riesige Frunk (ca. 280 L!) ist der eigentliche Star. Insgesamt ein sehr luxuriöses, luftiges und modernes Ambiente. Anders als bei den Deutschen, aber definitiv Premium.
Tipp von Alex Wind: Das Glass Canopy sieht toll aus, ist aber im Hochsommer ohne Rollo grenzwertig. Wer empfindlich ist, sollte vielleicht die Version ohne wählen (falls verfügbar) oder sich auf eine gut arbeitende Klimaanlage verlassen.
Wie fährt er sich? Sportlich wie ein Taycan oder komfortabel wie ein EQS?
Das Fahrwerk nutzt eine Fünflenker-Vorderachse und eine Mehrlenker-Hinterachse, optional mit adaptiven Dämpfern (“Semi-Active Dampers”). Das Fahrverhalten ist primär auf Komfort ausgelegt, bietet aber hohe Reserven. Der Sapphire hat ein spezifisches Performance-Fahrwerk.
Der Lucid Air ist kein Sportwagen. Er ist eine extrem schnelle, aber primär komfortable Reiselimousine. Das Fahrwerk (auch mit adaptiven Dämpfern) bügelt Unebenheiten souverän weg, die Lenkung ist präzise, aber sehr leichtgängig und gefühlsarm. Er liegt satt und sicher auf der Straße, wirkt aber nicht so agil und involvierend wie ein Porsche Taycan. Er ist eher auf Augenhöhe mit einem Mercedes EQS oder einem BMW i7. Ein souveräner Gleiter für die Langstrecke. Der Sapphire ist da natürlich eine andere Hausnummer. Mit über 1.200 PS, Torque Vectoring hinten und einem komplett überarbeiteten Fahrwerk wird er zum Hypercar-Jäger. Aber das ist eine andere Welt. Der “normale” Air? Komfort first, Dynamik second. Und das passt auch gut zum Charakter des Autos.
Historischer Kontext: Vom Batterie-Startup zum Tesla-Herausforderer
Lucid Motors wurde 2007 als “Atieva” gegründet und fokussierte sich zunächst auf die Entwicklung von Batterietechnologie für andere Hersteller (unter anderem lieferten sie die Batterien für die Formel E). Erst später entschied man sich, ein eigenes Auto zu bauen – mit dem klaren Ziel, Tesla technologisch zu übertreffen. Der CEO Peter Rawlinson war vorher Chefingenieur beim Tesla Model S. Man merkt dem Lucid Air diese Herkunft an: Der Fokus liegt auf der Kerntechnologie (Antrieb, Batterie, Effizienz). Die Entwicklung dauerte lange, wurde immer wieder durch Finanzierungsprobleme (bis zum Einstieg des saudischen Staatsfonds PIF) verzögert. Der Produktionsstart 2021/22 war holprig. Lucid kämpft immer noch mit dem Hochlauf der Produktion und dem Aufbau einer globalen Marke. Der Air ist ein technologisches Meisterwerk, aber das Unternehmen dahinter ist immer noch ein Startup im Vergleich zu den etablierten Riesen.
Advokat des Teufels: Was sind die größten Nachteile des Lucid Air?
Trotz seiner technologischen Brillanz gibt es auch Schwachpunkte:
- Extrem hoher Preis: Der Lucid Air ist sehr teuer. Selbst der Basis Pure RWD startet in Deutschland bei ca. 90.000 Euro, der Grand Touring liegt bei ca. 130.000 Euro, der Sapphire jenseits von 250.000 Euro. Das ist S-Klasse / Taycan / Model S Plaid Territorium.
- Marke & Servicenetz: Lucid ist in Deutschland ein absoluter Exot. Das Servicenetz besteht aus wenigen “Studios” und mobilen Technikern. Wie gut der Service im Problemfall funktioniert und wie die Ersatzteilversorgung aussieht, ist schwer einzuschätzen. Das ist ein Risiko.
- Software-Reife: Obwohl das System gut aussieht, berichten manche Besitzer von Software-Bugs und fehlenden Features im Vergleich zu Tesla oder den deutschen Premium-Marken. OTA-Updates sollen helfen, aber die Software scheint noch nicht ganz ausgereift.
- Verfügbarkeit & Lieferzeiten: Lucid kämpft immer noch mit Produktionszahlen. Lieferzeiten können lang sein.
- Wiederverkaufswert: Als Exot einer jungen Marke ist der Wertverlust schwer kalkulierbar und potenziell hoch.
Man kauft hier nicht nur ein Auto, sondern auch ein Stück Pioniergeist – mit allen Chancen und Risiken.
Anekdote: Der unsichtbare Effizienz-Boost
Ich fuhr den Lucid Air Grand Touring auf einer Testrunde, versuchte, möglichst effizient zu sein. Ohne große Anstrengung zeigte der Bordcomputer Werte um 15-16 kWh/100 km an – bei einer großen Luxuslimousine! Das ist fast schon Kleinwagen-Niveau. Man merkt gar nicht, wie effizient das Auto ist, weil es sich so souverän und kraftvoll anfühlt. Diese Kombination aus Leistung und Sparsamkeit, dieser technische Vorsprung im Antriebsstrang – das ist wirklich beeindruckend und unterscheidet Lucid von vielen anderen.
Zukünftiger Ausblick: Kommt der Gravity SUV und was plant Lucid noch?
Ja, Lucid hat bereits den nächsten Schritt angekündigt: den Lucid Gravity, ein großes Luxus-SUV (Siebensitzer) auf der gleichen LEAP-Plattform wie der Air. Er soll ähnliche Werte bei Reichweite und Ladeleistung bieten und Ende 2024 / Anfang 2025 in Produktion gehen. Danach sind weitere, potenziell günstigere Modelle auf einer zukünftigen Midsize-Plattform geplant, um in den Volumenmarkt vorzustoßen. Ob Lucid diesen langen Atem hat und sich gegen die wachsende Konkurrenz (insbesondere aus China) behaupten kann, wird sich zeigen. Der Air ist der technologische Beweis, dass sie es können. Jetzt müssen sie liefern – bei Produktion, Software, Service und Preis.
Merkmal | Lucid Air Grand Touring | Tesla Model S (Basis AWD) | Porsche Taycan Turbo | Mercedes EQS 580 4MATIC |
Plattform/Spannung | LEAP (900V+) | Tesla Skateboard (400V) | J1 (800V) | EVA2 (400V) |
Leistung (ca.) | 831 PS | ca. 670 PS (?) | 884 PS (Boost) | 544 PS |
Akku (Netto, ca.) | 112 kWh | ca. 95 kWh (?) | ca. 97 kWh | 108 kWh |
Reichw. (WLTP, ca.) | 839 km | ca. 634 km | ca. 550 km | ca. 700 km |
Ladeleistung (max) | > 300 kW | 250 kW | 270 kW (bald 320?) | 200 kW |
Preis (Basis GT/Vergleich) | ab 129.000 € | ab 95.000 € (?) | ab 175.000 € | ab 142.000 € |
Fazit: Der Lucid Air ist zweifellos ein technologisches Meisterwerk. Er setzt Maßstäbe bei Reichweite, Effizienz und Ladegeschwindigkeit und muss sich in diesen Disziplinen vor niemandem verstecken. Das Design ist elegant, der Innenraum luxuriös und geräumig. Die Schwächen liegen im extrem hohen Preis, der noch nicht voll ausgereiften Software und den Risiken, die der Kauf bei einem jungen Unternehmen mit dünnem Servicenetz mit sich bringt. Ist er besser als Tesla & Co.? Technologisch in vielen Aspekten ja. Als Gesamtpaket? Schwieriger. Er ist eine faszinierende, aber sehr teure Alternative für technikverliebte Individualisten mit Pioniergeist und prallem Konto. Der Effizienz-König hat seinen Preis.




















