Mercedes und Elektro-Transporter – das war bisher eine eher… mühsame Beziehung. Der erste eSprinter? Ein gut gemeinter Versuch, mehr nicht. Mickerige Reichweite, kaum Varianten. Ein Alibi-Stromer. Doch Stuttgart hat gelernt. Oder lernen müssen. Denn Ford hat mit dem E-Transit vorgelegt. Jetzt kommt der Konter: Der komplett neue eSprinter auf einer dedizierten Elektro-Plattform (EVP) rollt an. Mit bis zu 113 kWh Akku (!), Heckantrieb und dem Versprechen, endlich ein vollwertiges E-Arbeitstier zu sein. Kann Mercedes das Ruder rumreißen? Oder ist der neue eSprinter nur ein (sehr teurer) Tropfen auf den heißen Stein der Transportwende? Ich hab mir das Ding geschnappt – mit einer ordentlichen Portion Skepsis im Gepäck.
Was ist der neue Mercedes-Benz eSprinter (2025) genau?
Der neue Mercedes-Benz eSprinter ist ein großer, rein elektrischer Transporter, basierend auf der modularen Electric Versatility Platform (EVP). Er wird mit drei Batteriegrößen (56, 81, 113 kWh netto), zwei Motorleistungen (100 kW, 150 kW) und als Kastenwagen oder Fahrgestell angeboten, zunächst mit Heckantrieb.
Endlich eine eigene E-Plattform! Das ist der entscheidende Unterschied zum Vorgänger, der nur ein umgebauter Diesel war. Die EVP teilt den eSprinter clever in drei Module: Front (Hochvolt-Komponenten), Mitte (Batterie im Unterboden), Heck (Antriebsachse). Das schafft Flexibilität für verschiedene Aufbauten und Batteriegrößen, ohne den Laderaum einzuschränken. Und es ermöglicht Heckantrieb – wichtig für Traktion bei Beladung. Klingt gut. Aber die große Frage bleibt: Haben sie auch beim Laden und bei der Nutzlast dazugelernt? Denn das waren die Knackpunkte.
Welche Varianten (Batterie, Motor, Aufbau) gibt es?
Verfügbar sind drei Batteriegrößen (Lithium-Eisenphosphat, LFP): 56 kWh, 81 kWh oder 113 kWh (alle netto nutzbar). Zwei Motorleistungen: 100 kW (136 PS) oder 150 kW (204 PS), jeweils mit 400 Nm Drehmoment. Angeboten als Kastenwagen (Länge L2 oder L3, Hochdach) und als Fahrgestell für individuelle Aufbauten. Alle Versionen starten mit Heckantrieb.
Drei Akkus zur Wahl – das ist mal eine Ansage. 113 kWh netto! Das ist PKW-Oberklasse-Niveau. Damit muss doch Reichweite drin sein, oder? Die LFP-Chemie verspricht Langlebigkeit und Robustheit, ist aber schwerer und bei Kälte manchmal etwas zickiger beim Laden als NMC. Die Motoren? 136 PS als Basis? Puh, das klingt für einen großen Sprinter grenzwertig. Die 150 kW (204 PS) dürften die bessere, weil souveränere Wahl sein, gerade wenn man öfter voll beladen fährt. Schön, dass es 400 Nm Drehmoment gibt, das hilft beim Anfahren. Aber warum zum Start nur Heckantrieb? Gerade im Winter oder auf Baustellen wäre Allrad wünschenswert. Soll aber angeblich später kommen. Typisch Mercedes: erstmal abwarten.
Tipp von Alex Wind: Wer nicht nur in der Stadt fährt: Finger weg vom kleinsten Akku (56 kWh). Die 81 kWh sind ein guter Kompromiss, aber wer maximale Flexibilität will, muss zum 113 kWh Riesen-Akku greifen – und den Aufpreis schlucken. Und nehmt den 150 kW Motor, alles andere ist Quälerei.
Wie weit kommt der eSprinter wirklich? (Reale Reichweite)
Die WLTP-Reichweiten liegen je nach Batterie, Aufbau und Motor zwischen ca. 230 km (56 kWh) und bis zu 440 km (113 kWh, Kastenwagen L2). Realverbräuche im Test (113 kWh): ca. 28-35 kWh/100 km.
440 km WLTP mit dem großen Akku. Das klingt erstmal gut für einen Transporter dieser Größe. Aber wir wissen ja: WLTP ist Theorie, Beladung und Autobahn sind die Realität. Im realen Testbetrieb mit moderater Beladung kamen wir mit dem 113 kWh eSprinter auf ca. 300 bis 350 Kilometer bei gemischter Nutzung (Stadt, Land, Autobahn bis 100/110 km/h). Fährt man schneller oder ist voll beladen, sinkt die Reichweite schnell Richtung 250-280 Kilometer. Das ist okay, deutlich besser als der alte eSprinter (kaum 120 km real), aber eben keine Revolution. Ein Ford E-Transit mit kleinerem Akku (ca. 68 kWh netto) kommt real kaum weniger weit (ca. 200-250 km). Warum? Weil der eSprinter schwer ist (Leergewicht mit 113 kWh Akku um 2,8 Tonnen!) und der Verbrauch entsprechend hoch. Die mittlere Batterie (81 kWh, WLTP ca. 310 km) dürfte real bei 200-250 km landen. Der Kleine (56 kWh)? Kaum über 150 km. Also: Der große Akku ist Pflicht, wenn man mehr als nur den reinen Stadtverkehr bedienen will. Aber ein Effizienz-Wunder ist der eSprinter nicht.
Wie schnell lädt der eSprinter – und reicht das für den Alltag?
AC-Laden erfolgt serienmäßig mit 11 kW (dreiphasig). Die maximale DC-Ladeleistung beträgt 50 kW (56 kWh Batterie) oder 115 kW (81 kWh / 113 kWh Batterien).
Okay, 11 kW AC Serie – das ist Standard und gut für das Laden über Nacht im Depot. Aber die DC-Leistung? Maximal 115 kW für die großen Akkus? Das ist… enttäuschend. Mini-Fallstudie: Der eSprinter (113 kWh) am Schnelllader
- Problem: Großer Akku muss unterwegs nachgeladen werden (z.B. von 10 %).
- Aktion: Ansteuern einer HPC-Säule (≥ 150 kW). Batterie-Vorkonditionierung (optional?) ist wichtig.
- Messbares Ergebnis: Die Ladung von 10 % auf 80 % dauert offiziell ca. 42 Minuten.
Über 40 Minuten für 70% Ladung? Das ist lange, wenn der Fahrer warten muss. Der Ford E-Transit schafft zwar auch nur 115 kW Peak, scheint die Leistung aber etwas länger zu halten. Und die neuen Stellantis-Transporter (e-Ducato & Co.) sollen bald mit bis zu 150 kW kommen. Hier hätte Mercedes mutiger sein können, gerade bei der 400V-Architektur wäre mehr drin gewesen. Für den planbaren Depotlader mag das reichen. Aber für den flexiblen Einsatz mit unplanmäßigen Schnellladungen? Das wird zur Geduldsprobe. Schade. Das ist nur Mittelmaß.
Wie viel Nutzlast bleibt trotz schwerer Batterie?
Die maximale Nutzlast variiert stark je nach Konfiguration (Batterie, Aufbau, zul. Gesamtgewicht). Bei einem Kastenwagen L2 mit 113 kWh Batterie und 4,25t zGG liegt sie bei ca. 1.500 kg. Mit 3,5t zGG und großer Batterie sinkt die Nutzlast auf unter 1.000 kg.
Das ist der wunde Punkt bei allen E-Transportern. Die Batterien sind schwer. Der 113 kWh Akku wiegt allein schon fast 800 kg! Das frisst Nutzlast. Wer den eSprinter mit normalem Führerschein (bis 3,5 Tonnen) fahren will und den großen Akku braucht, landet bei einer Nutzlast von vielleicht 800-900 kg. Das ist deutlich weniger als beim Diesel-Sprinter (oft 1.200 kg und mehr). Reicht das? Für den Paketdienst ja. Für den Handwerker mit schwerem Werkzeug und Material? Wird eng. Die 4,25-Tonnen-Version (erfordert LKW-Führerschein C1) bietet zwar mehr Puffer (ca. 1,5 t Nutzlast), ist aber nicht für jeden Fahrer geeignet. Man muss also genau rechnen: Wie viel Reichweite brauche ich wirklich und wie viel Nutzlast darf’s maximal sein? Der technische Kompromiss ist hier brutal: Mehr Reichweite = weniger Zuladung (im 3,5t-Segment). Daran kommt auch Mercedes nicht vorbei.
Wie fährt sich der Elektro-Transporter?
Das Fahrwerk wurde für das hohe Gewicht angepasst. Der Heckantrieb sorgt für gute Traktion bei Beladung. Das Fahrgefühl ist E-Auto-typisch leise und entspannt. Die Rekuperation ist in mehreren Stufen (inkl. Automatik-Modus “D-Auto”) einstellbar.
Er fährt sich wie ein… Sprinter. Nur leise. Sehr leise sogar! Das ist wirklich angenehm im lauten Stadtverkehr oder auf der Autobahn. Der Antritt ist (dank E-Motor) spontan, die 150 kW-Version schiebt ordentlich an. Das Fahrwerk steckt das hohe Gewicht erstaunlich gut weg, der Komfort ist Mercedes-typisch hoch. Die Lenkung ist leichtgängig, aber präzise genug. Dank Heckantrieb gibt es keine Antriebseinflüsse in der Lenkung und gute Traktion, wenn Gewicht auf der Hinterachse lastet. Die verschiedenen Rekuperationsstufen sind praktisch, der Automatik-Modus (D-Auto) passt die Rekuperation vorausschauend an den Verkehr an – sehr clever und effizient. Insgesamt ein sehr entspanntes, souveränes Fahrgefühl. Deutlich angenehmer als ein rüttelnder Diesel. Das passt.
Wie modern und praktisch ist das Cockpit mit MBUX?
Das Cockpit entspricht weitgehend dem des aktuellen Sprinter-Verbrenners. Es verfügt über das MBUX-Infotainmentsystem (Mercedes-Benz User Experience) mit optionalem 10,25-Zoll-Touchscreen und Sprachsteuerung (“Hey Mercedes”). Die Navigation bietet “Electric Intelligence” zur Routenplanung inkl. Ladestopps.
Hier punktet Mercedes. Das MBUX-System gehört immer noch zum Besten, was es im Transporter-Segment gibt. Es ist schnell, logisch aufgebaut, bietet viele Online-Dienste und eine exzellente Sprachsteuerung. Die Navigation mit “Electric Intelligence” plant Ladestopps automatisch ein und berücksichtigt Topografie und Verkehr – sehr hilfreich. Das Cockpit selbst ist robust, funktional, mit vielen Ablagen. Die Verarbeitung ist gut, wenn auch nicht ganz auf PKW-Niveau (ist ja auch ein Nutzfahrzeug). Insgesamt ein modernes, durchdachtes und benutzerfreundliches Arbeitsumfeld. Da gibt es wenig zu meckern.
Der evolutionäre Weg: Vom Kompromiss zum Baukasten?
Der erste eSprinter (ab 2019) war eine Notlösung – ein umgebauter Diesel mit kleiner Batterie im Laderaum und Frontantrieb. Reichweite und Nutzlast waren miserabel. Die neue Generation auf der EVP-Plattform ist der erste echte Elektro-Sprinter von Mercedes. Der modulare Ansatz (Front-, Mittel-, Heckmodul) ist clever und zukunftsweisend. Er ermöglicht nicht nur verschiedene Batteriegrößen und Aufbauten, sondern potenziell auch zukünftige Entwicklungen (Allrad? Andere Zellchemien?). Der technische Kompromiss ist, dass diese Flexibilität vielleicht nicht in allen Details die maximale Optimierung erlaubt (siehe Ladeleistung). Aber es ist der richtige Weg, um die Vielfalt der Sprinter-Welt in die E-Zukunft zu übertragen.
Die andere Seite der Medaille: Was sind die größten Haken?
Neben der nur durchschnittlichen DC-Ladeleistung und der Nutzlast-Limitierung (besonders im 3,5t-Segment mit großem Akku) ist es vor allem der Preis. Der eSprinter ist extrem teuer. Selbst die Basisversion mit kleinem Akku startet bei über 60.000 Euro netto. Mit dem großen Akku und vernünftiger Ausstattung landet man schnell bei 80.000 bis 90.000 Euro netto. Das ist deutlich mehr als ein vergleichbarer Ford E-Transit oder die (bald kommenden) neuen Stellantis-Stromer. Mercedes lässt sich den Stern und die (vermeintliche) Qualität teuer bezahlen. Ob sich das rechnet? Die TCO-Rechnung (Total Cost of Ownership) muss hier sehr spitz kalkuliert werden. Für viele Flottenbetreiber dürfte der hohe Anschaffungspreis eine massive Hürde sein, auch wenn die Betriebskosten niedriger sind als beim Diesel.
Zukünftiger Ausblick: Wann kommt Allrad und was ist mit Wasserstoff?
Ein Allradantrieb für den eSprinter ist technisch auf der EVP-Plattform vorgesehen (durch ein zusätzliches Frontmodul mit Motor) und wird erwartet, ein genauer Zeitpunkt ist aber noch nicht bekannt. Er würde die Einsatzmöglichkeiten (Baustelle, Winterdienst) erheblich erweitern. Wasserstoff? Spielt bei Mercedes im Transporter-Segment aktuell keine sichtbare Rolle mehr, obwohl man früher Prototypen hatte. Der Fokus liegt klar auf batterieelektrischen Antrieben. Die EVP-Plattform soll die Basis für die nächsten Jahre bilden und wird sicher noch Weiterentwicklungen bei Batterie und Ladetechnik sehen.
Preis der Fehlkonfiguration: Großer Akku vs. Nutzlast im 3,5t-Segment
Die Wahl der Batteriegröße im 3,5-Tonner ist eine kritische Entscheidung mit direkten Kosten- und Nutzlastfolgen.
- Szenario: Handwerker braucht ca. 800 kg Nutzlast, fährt täglich 150 km, will elektrisch fahren.
- Option A: 113 kWh Akku: Reichweite passt super (real ca. 300 km+). Aber: Nutzlast im 3,5t-Modell nur ca. 800-900 kg – passt gerade so, wenig Puffer. Preis: Sehr hoch.
- Option B: 81 kWh Akku: Reichweite knapper (real ca. 200-250 km), reicht aber für 150 km. Dafür: Deutlich mehr Nutzlast (ca. +200 kg) und günstigerer Preis (ca. 8.000-10.000 € Ersparnis?).
- Fazit: Wer die maximale Nutzlast im 3,5t-Segment braucht, muss oft zum mittleren 81 kWh Akku greifen und Kompromisse bei der Reichweite eingehen. Wer primär leichte Güter transportiert (Paketdienst), kann den großen Akku wählen. Die Fehlkonfiguration wäre, den 113 kWh Akku zu wählen und dann festzustellen, dass man ständig überladen ist – oder umgekehrt, den 81 kWh Akku zu nehmen und täglich Reichweitenangst zu haben. Eine genaue Bedarfsanalyse ist hier Pflicht!
Merkmal | Mercedes eSprinter (113 kWh) | Ford E-Transit (68 kWh Netto) | Renault Master E-Tech (87 kWh) | Fiat E-Ducato (110 kWh, neu?) |
Plattform | EVP (E-Plattform) | Transit-Basis (mod.) | CMF-EV Van (?) | Ducato-Basis (mod.) |
Akku (Netto) | 113 kWh (LFP) | ca. 68 kWh (NMC) | 87 kWh (NMC) | 110 kWh (?) |
Max. Reichw. (WLTP) | ca. 440 km | ca. 317 km | ca. 460 km | ca. 420 km (?) |
Max. Ladeleist. (DC) | 115 kW | 115 kW | 130 kW | 150 kW (?) |
Ladezeit (10-80%) | ca. 42 Min. | ca. 34 Min. | ca. 40 Min. | ca. 50 Min. (?) |
Antrieb | RWD | RWD | FWD | FWD |
Preis (Basis ~110kWh/Vergleich) | sehr hoch (ca. 80k € netto?) | (nur kleiner Akku) | hoch (?) | hoch (?) |
Fazit: Der neue Mercedes-Benz eSprinter (2025) ist ein riesiger Schritt nach vorn gegenüber seinem Vorgänger. Die modulare EVP-Plattform, die großen Akku-Optionen und das moderne MBUX-Cockpit machen ihn zu einem technologisch führenden Angebot im Segment der großen E-Transporter. Die reale Reichweite (mit 113 kWh Akku) ist endlich praxistauglich, das Fahrgefühl souverän. Die Schwächen liegen in der nur durchschnittlichen DC-Ladeleistung, der Nutzlast-Limitierung im 3,5t-Segment (mit großem Akku) und dem sehr hohen Preis. Er ist kein Schnäppchen und kein Effizienz-Wunder, aber ein hochwertiges, durchdachtes und vielseitiges E-Arbeitstier für Flotten, die bereit sind, in den Stern zu investieren. Der Angriff auf den E-Transit ist eröffnet – möge der Bessere (oder Günstigere?) gewinnen.
















