Umfassender Test des Alfa Romeo Junior (2025): Kann der umbenannte Milano Alfa-Herz in die Kompaktklasse bringen?

Alfa Romeo wagt sich zurück ins Getümmel der Kleinwagen und Kompakt-SUVs – ein Segment, das seit dem Auslaufen des MiTo verwaist war. Mit großen Erwartungen wurde der “Milano” enthüllt, nur um kurz darauf nach politischem Disput in “Junior” umgetauft zu werden. Name hin oder her, die Mission bleibt: Alfa Romeo soll mit diesem B-SUV auf der weit verbreiteten CMP-Plattform von Stellantis neue, jüngere Kunden gewinnen. Doch kann ein Auto, das sich die Technik mit Peugeot 2008, Opel Mokka und Jeep Avenger teilt, wirklich das berühmte “Cuore Sportivo”, das sportliche Herz, verkörpern? Wir sind den neuen Junior als Elektro (“Elettrica”) und Mild-Hybrid (“Ibrida”) gefahren.

Was ist der Alfa Romeo Junior und für wen ist er gedacht?

Der Alfa Romeo Junior ist ein 4,17 Meter langes Crossover-SUV im B-Segment. Er ist der Versuch, Alfa Romeos Design-DNA und einen Hauch von Sportlichkeit in die volumenstarke Klasse unterhalb des Tonale zu bringen. Er tritt an gegen stylische Konkurrenten wie den Mini Countryman oder Audi Q2, aber auch gegen Premium-Versionen von Volumenmodellen wie den Peugeot 2008. Er richtet sich an designorientierte Käufer, die ein kompaktes Auto mit italienischem Flair und Markenprestige suchen, aber bereit sind, dafür einen höheren Preis als für die technisch verwandten Konzernbrüder zu zahlen. Er soll Alfa Romeo Stückzahlen bringen und die Marke profitabler machen.

Welche Antriebe gibt es: Effizienter Hybrid oder sportlicher Stromer?

Alfa Romeo setzt auf die bewährten Antriebe der CMP-Plattform, gibt ihnen aber (zumindest auf dem Papier) eine eigene Note.

Junior Ibrida (Mild-Hybrid): Hier arbeitet der bekannte 1.2-Liter Dreizylinder-Turbobenziner zusammen mit einem 48-Volt-Mildhybrid-System. Ein 21 kW (29 PS) starker Elektromotor ist im 6-Gang-Doppelkupplungsgetriebe integriert und ermöglicht kurzes elektrisches Fahren (Anfahren, Rangieren, Segeln). Die Systemleistung beträgt 100 kW (136 PS). Später soll auch eine Allradversion “Q4” folgen. Dieser Antrieb ist die pragmatische Wahl für Kunden, die noch nicht rein elektrisch fahren wollen oder können. Der Realverbrauch dürfte um 5,5 – 6,5 Liter liegen.

Junior Elettrica (Elektro): Die vollelektrische Version nutzt einen 54 kWh (brutto, ca. 51 kWh netto) Akku und wird in zwei Leistungsstufen angeboten:

  • Elettrica Basis: Mit 115 kW (156 PS) und Frontantrieb. WLTP-Reichweite: ca. 410 km. Der effiziente Allrounder für den Alltag.
  • Elettrica Veloce: Die sportliche Topversion mit 177 kW (240 PS) (der stärkste Motor auf dieser Plattform-Variante bisher!), Frontantrieb, mechanischem Torsen-Sperrdifferenzial, direkterer Lenkung, Sportfahrwerk (25 mm tiefer) und größerer Bremsanlage. WLTP-Reichweite: ca. 390-400 km. Dies ist der selbsternannte “sportliche” Junior, der das Alfa-Herz höher schlagen lassen soll.

Wie schlägt sich der Elettrica bei Reichweite und Laden (400V)?

Der 54 kWh Akku ist guter Standard im B-SUV-Segment. Die 410 km WLTP-Reichweite (156 PS) sind konkurrenzfähig. Im Realbetrieb dürften daraus ca. 300-350 km werden, je nach Fahrweise und Temperatur.

Beim Laden setzt der Junior auf die klassenübliche 400-Volt-Architektur der CMP-Plattform:

  • AC-Laden: Serienmäßig mit 11 kW dreiphasig. Eine Vollladung (0-100%) dauert damit ca. 5 Stunden.
  • DC-Laden: Maximal 100 kW an der Schnellladesäule.

Mini-Fallstudie: Der Elettrica am Schnelllader

  • Problem: Akku muss unterwegs nachgeladen werden (z.B. von 10 %).
  • Aktion: Ansteuern einer HPC-Säule (≥ 100 kW).
  • Messbares Ergebnis: Die Ladung von 10 % auf 80 % dauert offiziell ca. 30 Minuten. Das ist ein akzeptabler Wert in dieser Klasse, aber keine Revolution. Konkurrenten wie der Volvo EX30 (bis 153 kW) oder Mini Countryman SE (130 kW) laden etwas schneller.

Ist das Interieur ein echter Alfa oder nur ein umgestalteter Peugeot?

Alfa Romeo hat sich sichtlich bemüht, dem Innenraum eine eigene Identität zu geben, obwohl die technische Basis durchscheint.

  • Design: Das Layout wirkt fahrerorientiert. Typische Alfa-Elemente sind das “Cannocchiale”-Design des digitalen 10,25-Zoll-Kombiinstruments (Teleskop-Optik), die runden Lüftungsdüsen im Turbinen-Look und das optionale Alcantara mit roten Ziernähten. Das zentrale 10,25-Zoll-Touchdisplay ist gut integriert.
  • Materialien: Alfa verspricht hochwertigere Materialien als bei den Schwestermodellen, aber es bleibt viel Hartplastik sichtbar, besonders in den unteren Bereichen. Optionale Sabelt-Sportsitze im Veloce werten den Innenraum auf.
  • Stellantis-Teile: Lenkstockhebel, Fensterheber-Schalter und Teile der Infotainment-Software (wenn auch mit Alfa-Skin) kennt man aus anderen Konzernmodellen. Der technische Kompromiss der Plattform ist hier spürbar.

Insgesamt ist das Interieur deutlich eigenständiger und hochwertiger als im Avenger oder 600e, erreicht aber nicht ganz die Premium-Anmutung eines Mini Countryman.

Wie fährt er sich? Ist der “Veloce” wirklich sportlich?

Hier musste Alfa Romeo liefern, und sie haben es versucht. Alle Junior-Versionen erhalten eine eigenständige Fahrwerks- und Lenkungsabstimmung, die direkter und agiler sein soll als bei den Schwestermodellen.

  • Lenkung: Die Lenkung ist tatsächlich bemerkenswert direkt übersetzt – die direkteste im Segment laut Alfa. Sie vermittelt ein agiles Gefühl, könnte aber etwas mehr Rückmeldung geben.
  • Fahrwerk: Die Abstimmung ist straffer als bei Peugeot oder Jeep, ohne unkomfortabel zu sein. Der Junior liegt satt auf der Straße und neigt sich weniger in Kurven.
  • Veloce: Der Elettrica Veloce mit seinen 240 PS, dem Torsen-Sperrdifferenzial, dem tiefergelegten Sportfahrwerk und der direkteren Lenkung ist spürbar sportlicher. Er lenkt gieriger ein, hat exzellente Traktion am Kurvenausgang und macht auf kurvigen Straßen wirklich Spaß. Er ist der mit Abstand fahraktivste Ableger dieser Plattform. Der technische Kompromiss ist der eingeschränkte Federungskomfort im Vergleich zu den Standardmodellen.

Tipp von Alex Wind: Wer das Alfa-Feeling sucht, muss zum Elettrica Veloce greifen. Er ist zwar teuer, aber hier haben die Ingenieure das Maximum aus der Plattform herausgeholt und ein wirklich unterhaltsames Auto geschaffen. Der Ibrida und der Basis-Elettrica fahren gut, aber nicht herausragend sportlich.

Historischer Kontext: Alfas Rückkehr ins B-Segment

Alfa Romeo hat eine lange Geschichte im Kleinwagen-Segment, man denke an den Alfasud oder den charismatischen MiTo (bis 2018). Der MiTo war der letzte Versuch, mit sportlichem Anspruch und Premium-Flair im B-Segment zu punkten. Nach seinem Auslaufen klaffte eine Lücke. Der Junior (als SUV) ist nun der Wiedereinstieg, aber unter völlig anderen Vorzeichen: Er muss nicht nur sportlich sein, sondern vor allem profitabel im Massenmarkt bestehen. Er ist weniger ein reiner “Alfisti”-Traum als vielmehr ein strategisch notwendiges Volumenmodell unter der Ägide von Stellantis.

Was ist das stärkste Argument GEGEN den Junior?

Das stärkste Gegenargument ist die offensichtliche Plattform-Verwandtschaft kombiniert mit einem selbstbewussten Premium-Preis. Der Junior wird signifikant teurer sein als seine technischen Zwillinge von Fiat, Jeep, Opel oder Peugeot. Man zahlt einen erheblichen Aufpreis für das Alfa-Logo, das Design und die (im Falle des Veloce) sportlichere Abstimmung.

Rationale Käufer könnten argumentieren, dass ein Peugeot e-2008 oder ein Jeep Avenger ähnliche Technik und Praktikabilität zu einem günstigeren Preis bieten. Der Junior muss seine Existenzberechtigung über Emotion, Design und das (beim Veloce) spürbar dynamischere Fahrgefühl rechtfertigen. Er ist keine Vernunftentscheidung, sondern ein Herzenskauf innerhalb der Stellantis-Familie.

Anekdote: Das Scudetto im Stadtverkehr

Ich stand mit dem Junior Elettrica an einer roten Ampel in Mailand. Neben mir hielt ein älterer Herr in einem klassischen Alfa Spider. Er musterte den Junior, sein Blick wanderte über das moderne Scudetto-Grillmuster, die scharfen LED-Linien. Dann hob er anerkennend den Daumen. In diesem Moment wurde klar: Auch wenn die Technik von einer Massenplattform stammt, das Design spricht die Alfa-Sprache. Es weckt Emotionen, es wird erkannt. Und vielleicht ist genau das wichtiger als die letzte technische Finesse, um die Marke am Leben zu erhalten.

Wie schlägt er sich gegen die Premium-Konkurrenz?

Der Junior muss sich direkt mit Mini Countryman und Audi Q2 messen, aber auch mit Top-Versionen des Peugeot 2008.

Merkmal
Alfa Romeo Junior Veloce
Mini Countryman SE ALL4
Audi Q2 35 TFSI S tronic
Peugeot e-2008 GT
Konzept
B-SUV, Elektro (FWD)
B-SUV, Elektro (AWD)
B-SUV, Benziner (FWD)
B-SUV, Elektro (FWD)
Leistung
240 PS
313 PS
150 PS
156 PS
Akku (Netto)
ca. 51 kWh
64,7 kWh
ca. 51 kWh
Max. Reichw. (WLTP)
ca. 400 km
ca. 433 km
ca. 419 km
Fokus
Fahrdynamik (Alfa)
Lifestyle, Go-Kart
Premium-Anmutung
Design, Komfort
Preis (geschätzt)
ab ca. 48.000 €
ab 51.000 €
ab 36.000 €
ab 42.000 €

Fazit: Der Alfa Romeo Junior ist ein mutiger und optisch sehr gelungener Versuch, die Marke Alfa Romeo im wichtigen B-SUV-Segment neu zu positionieren. Er sieht fantastisch aus, bietet moderne Antriebe (insbesondere der Elettrica Veloce macht Spaß) und ein eigenständiges Interieur. Die Verwandtschaft zur CMP-Plattform ist jedoch spürbar, und der Premium-Preis muss durch Design und Fahrgefühl gerechtfertigt werden. Er ist kein revolutionäres Auto, aber ein wichtiger Baustein für Alfas Zukunft und eine charmante Alternative für alle, die italienisches Flair im Kompaktformat suchen. Ob er ein echter Alfa ist, muss jeder Alfista für sich entscheiden – der Veloce kommt dem Ideal am nächsten.

Galerie

Author: Alex Wind
Alex Wind ist Gründer von HH-AUTO und Chefredakteur des Mediennetzwerks. Als studierter Fahrzeugtechniker (FH Esslingen) mit über 10 Jahren Erfahrung in der Automobilindustrie (u.a. Qualitätssicherung) und Mitglied im Verband der Automobiljournalisten (VDAJ), legt er den Fokus auf fundierte Testberichte, technische Analysen und Import-Checks.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert