Umfassender Test des Mercedes-AMG EQE 53 4MATIC+ (2025): Echte AMG-Emotion im Elektro-Anzug?

AMG goes electric – diese Ansage aus Affalterbach spaltet die Gemüter. Kann die legendäre Performance-Schmiede ihre DNA aus brachialer Leistung, Gänsehaut-Sound und fahraktivem Handling in die stille Welt der Elektroautos übertragen? Nach dem Flaggschiff EQS AMG folgt nun der Angriff in der Business-Klasse: Der Mercedes-AMG EQE, als Limousine (V295) und als SUV (X294), soll beweisen, dass AMG auch ohne blubbernden V8 Emotionen wecken kann. Wir haben das Topmodell, den EQE 53 4MATIC+, genau unter die Lupe genommen und klären, ob der Stromschlag aus Affalterbach zündet.

Was ist der Mercedes-AMG EQE 53 4MATIC+ und was will er sein?

Der AMG EQE 53 4MATIC+ ist die sportliche Speerspitze der EQE-Baureihe. Er basiert auf der rein elektrischen EVA2-Plattform und erhält von AMG eine umfassende Überarbeitung: AMG-spezifische Elektromotoren (Permanentmagnet-Synchronmaschinen, PSM) an Vorder- und Hinterachse, ein angepasstes Batteriemanagement, ein Performance-orientierter Allradantrieb (4MATIC+), ein AMG Ride Control+ Luftfahrwerk mit adaptiver Verstelldämpfung und eine Hinterachslenkung (bis zu 3,6 Grad serienmäßig). Optisch differenziert er sich durch die AMG-typische Frontmaske (Panamericana-Interpretation), spezifische Schürzen, Schweller und Räder sowie ein sportlicheres Interieur mit AMG-Sitzen, -Lenkrad und -Anzeigen. Er will kein reiner Autobahngleiter sein, sondern der fahraktivste Konkurrent im Segment von BMW i5 M60, Porsche Taycan GTS oder Tesla Model S Plaid.

Wie viel Leistung hat er wirklich und wie fühlt sie sich an?

AMG bietet den EQE 53 4MATIC+ mit einer beeindruckenden Leistungsspanne an:

  • Standard: 460 kW (626 PS) und 950 Nm Drehmoment.
  • Mit optionalem AMG Dynamic Plus Paket: Im Race Start Modus kurzzeitig bis zu 505 kW (687 PS) und 1.000 Nm Drehmoment.

Diese Zahlen sind gewaltig. Die Beschleunigung ist – typisch Elektro – ansatzlos und brutal. Die Limousine katapultiert sich (mit Dynamic Plus) in 3,3 Sekunden auf 100 km/h, das schwerere SUV benötigt 3,5 Sekunden. Die Kraftentfaltung ist linear und vehement, fast schon surreal. Der technische Kompromiss: Das Erlebnis ist weniger “explosiv” und mechanisch als bei einem V8-Biturbo, sondern eher wie ein unaufhaltsamer Schub, eine digitale Beschleunigung. Es fehlt das Drama der Gangwechsel und der steigenden Drehzahl.

Kann das Fahrwerk die 2,5 Tonnen kaschieren?

Ja, erstaunlich gut. Das Leergewicht ist mit rund 2,5 Tonnen (Limousine) bzw. 2,6 Tonnen (SUV) enorm. Doch das AMG Ride Control+ Luftfahrwerk leistet in Kombination mit der Hinterachslenkung und dem variablen Allradantrieb 4MATIC+ (der die Kraft bis zu 160 Mal pro Sekunde zwischen den Achsen verteilt) hervorragende Arbeit.

  • Lenkung: Präzise, direkt und mit guter Rückmeldung (für ein E-Auto).
  • Agilität: Trotz des Gewichts lenkt der AMG EQE 53 überraschend willig ein. Die Hinterachslenkung “verkleinert” das Auto gefühlt in engen Kurven und stabilisiert es bei hohen Geschwindigkeiten.
  • Traktion: Dank 4MATIC+ ist die Traktion am Kurvenausgang phänomenal. Man kann extrem früh ans “Gas” gehen.
  • Komfort: Im Comfort-Modus federt der AMG EQE erstaunlich geschmeidig und langstreckentauglich. In Sport+ wird er spürbar straffer, aber nie unerträglich hart.

Fazit zum Fahrwerk: AMG gelingt es, dem schweren Elektroauto eine bemerkenswerte Agilität und Fahrdynamik zu verleihen, ohne den Mercedes-typischen Komfort zu opfern. Er fährt sich definitiv wie ein AMG – präzise, kontrolliert und extrem potent.

Tipp von Alex Wind: Bestellen Sie unbedingt das AMG Dynamic Plus Paket. Es beinhaltet nicht nur die Leistungssteigerung und den Race Start, sondern auch die AMG Sound Experience “Performance”, die versucht, dem E-Antrieb künstlich Emotionen einzuhauchen – mit überraschend gutem Ergebnis. Und investieren Sie in die optionale Keramik-Hochleistungs-Verbundbremsanlage, um die hohe Masse auch auf der Rennstrecke sicher zu verzögern.

Sound ohne Motor? Die AMG Sound Experience

Das ist der heikelste Punkt. AMG versucht, die fehlende V8-Symphonie durch ein künstliches Klangbild zu kompensieren. Über spezielle Lautsprecher innen und außen wird ein synthetischer Sound generiert, der sich je nach Fahrmodus und Fahrzustand ändert (“Balanced”, “Sport”, “Powerful”). Im Dynamic Plus Paket kommt noch der “Performance”-Sound hinzu.

Wie klingt das? Überraschend gut und nicht peinlich. Es ist kein V8-Imitat, sondern ein eigenständiger, futuristischer Klangteppich, der an Turbinen oder Raumschiffe erinnert. Er liefert ein akustisches Feedback zur Beschleunigung und Geschwindigkeit, das sonst fehlen würde. Puristen werden es ablehnen, aber es ist eine der besseren Umsetzungen von künstlichem E-Auto-Sound und trägt tatsächlich zum Fahrerlebnis bei.

Wie schlägt sich der AMG EQE bei Reichweite und Laden?

Hier zeigt sich die Kehrseite der hohen Leistung. Der AMG EQE 53 nutzt die gleiche 90,6 kWh (netto) Batterie wie die zivilen EQE-Modelle.

  • Reichweite: Die WLTP-Reichweite liegt bei bis zu 480 km (Limousine) bzw. 450 km (SUV). Im realen Testbetrieb sind bei sportlicher Fahrweise eher 300 bis 380 Kilometer realistisch. Wer konstant hohe Leistung abruft, sieht die Reichweite rapide schmelzen. Effizienz ist nicht die Kernkompetenz dieses Modells.
  • Ladeleistung: Der AMG EQE nutzt die 400-Volt-Architektur der EVA2-Plattform. Die maximale DC-Ladeleistung beträgt 170 kW.

Mini-Fallstudie: Der AMG am Schnelllader

  • Problem: Nach flotter Fahrt muss der Akku geladen werden.
  • Aktion: Ansteuern einer HPC-Säule (≥ 170 kW).
  • Messbares Ergebnis: Die Ladung von 10 % auf 80 % dauert ca. 32 Minuten. Das ist akzeptabel, aber Konkurrenten mit 800-Volt-Technik (Porsche Taycan, Audi e-tron GT, Hyundai/Kia/Genesis) sind hier deutlich schneller (ca. 20-23 Minuten für vergleichbare Akkugrößen). AC-Laden ist mit bis zu 22 kW (optional) möglich.

Ist der Innenraum AMG-würdig?

Ja, mit kleinen Einschränkungen. Der Innenraum basiert auf dem normalen EQE, wird aber durch AMG-spezifische Details aufgewertet.

  • Hyperscreen (optional): Die riesige, gebogene Display-Einheit (MBUX Hyperscreen) mit drei Bildschirmen unter einem Deckglas ist optional erhältlich und bietet AMG-spezifische Anzeigen (G-Kräfte, Leistungsabruf etc.). Sieht spektakulär aus, ist aber auch extrem dominant und teuer. Das Standard-Layout mit zentralem Vertikal-Display ist funktional kaum schlechter.
  • AMG-Details: Sportsitze (optional Performance-Sitze), Sportlenkrad mit Drehrädern für Fahrmodi, rote Ziernähte, Carbon-Elemente und AMG-Logos schaffen eine sportliche Atmosphäre.
  • Materialien & Verarbeitung: Auf gewohnt hohem Mercedes-Niveau.

Der technische Kompromiss ist, dass sich das Grundlayout (insbesondere die Sitzposition in der Limousine, die durch die Batterie im Boden etwas höher ist) nicht fundamental von den zivilen EQE-Modellen unterscheidet. Es ist mehr eine sportliche Veredelung als ein komplett eigenständiges AMG-Cockpit.

Anekdote: Der lautlose Katapultstart

Ich stand mit dem AMG EQE 53 SUV an einer Ampel. Neben mir ein Sportwagen mit Verbrenner. Als die Ampel auf Grün sprang, aktivierte ich den Race Start. Ohne das übliche Aufheulen eines Motors oder quietschende Reifen katapultierte sich der 2,6 Tonnen schwere Koloss mit einer solchen ansatzlosen Wucht nach vorne, dass der Sportwagen neben mir aussah, als hätte er den Start verschlafen. Dieses Gefühl der überlegenen, fast schon surrealen Beschleunigung aus dem Stand ist die neue Visitenkarte von Elektro-AMG.

Was ist das stärkste Argument GEGEN den AMG EQE 53?

Das stärkste Gegenargument ist die fehlende 800-Volt-Technologie und die (für AMG-Verhältnisse) mäßige Reichweite bei sportlicher Fahrweise.

  • Laden: In einer Preisklasse von über 120.000 Euro erwarten Kunden heute eigentlich State-of-the-Art-Ladetechnik. Die 170 kW DC sind gut, aber eben keine 270 kW oder mehr, wie sie Porsche, Audi oder Hyundai bieten.
  • Reichweite: Wer die AMG-Performance regelmäßig nutzt, wird häufiger an der Ladesäule stehen als erhofft. Der hohe Energieverbrauch bei hoher Last ist die Achillesferse vieler Power-E-Autos.
  • Preis: Der AMG EQE 53 ist extrem teuer. Er kostet deutlich mehr als ein BMW i5 M60 und nähert sich dem Preisniveau eines Porsche Taycan GTS.

Man zahlt einen sehr hohen Preis für die AMG-Veredelung eines EQE, ohne technologisch (beim Laden) ganz an der Spitze zu sein.

Zukünftiger Ausblick: AMG.EA – Die reine Elektro-Plattform kommt

Der AMG EQE auf der EVA2-Plattform ist ein wichtiger Schritt, aber nur ein Übergangsmodell. Mercedes-AMG entwickelt bereits eine eigene, rein elektrische Performance-Plattform namens AMG.EA. Diese wird voraussichtlich ab 2025/2026 die Basis für zukünftige, eigenständige AMG-Elektromodelle bilden und dürfte dann auch 800-Volt-Technik, noch leistungsfähigere E-Motoren (Axialfluss?) und eine kompromisslosere Sport-Auslegung bieten. Der aktuelle AMG EQE 53 zeigt, was auf einer adaptierten Plattform möglich ist – die Zukunft verspricht noch mehr.

Fazit: Der Mercedes-AMG EQE 53 4MATIC+ ist ein beeindruckender Beweis dafür, dass AMG auch im Elektrozeitalter Performance auf höchstem Niveau liefern kann. Die Beschleunigung ist atemberaubend, das Fahrwerk meistert den Spagat zwischen Agilität und Komfort brillant, und selbst der künstliche Sound ist gelungen. Er fährt sich zweifellos wie ein echter AMG. Die Nachteile liegen in der (im Vergleich zur 800V-Konkurrenz) langsameren Ladegeschwindigkeit, der bei sportlicher Fahrt überschaubaren Reichweite und dem sehr hohen Preis. Wer einen extrem schnellen, luxuriösen und technologisch fortschrittlichen Elektro-AMG sucht und über die Lade-Kompromisse hinwegsehen kann, wird hier fündig. Es ist ein faszinierender, wenn auch nicht perfekter, erster Aufschlag in der elektrischen Business-Performance

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Author: Alex Wind
Alex Wind ist Gründer von HH-AUTO und Chefredakteur des Mediennetzwerks. Als studierter Fahrzeugtechniker (FH Esslingen) mit über 10 Jahren Erfahrung in der Automobilindustrie (u.a. Qualitätssicherung) und Mitglied im Verband der Automobiljournalisten (VDAJ), legt er den Fokus auf fundierte Testberichte, technische Analysen und Import-Checks.

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