Volvo schrumpft – zumindest beim Preis und bei den Abmessungen. Mit dem EX30 wagt sich die schwedische Marke (unter chinesischer Geely-Führung) in das hart umkämpfte Segment der kleinen Elektro-SUVs. Er soll neue, jüngere Käufer locken, die sich einen XC40 Recharge nicht leisten können oder wollen. Gebaut auf der Geely SEA-Plattform, verspricht er schickes skandinavisches Design, Volvo-Sicherheit und – je nach Version – beeindruckende Fahrleistungen zu einem überraschend attraktiven Preis. Aber wo ist der Haken? Wo musste gespart werden? Und ist dieser China-Schwede wirklich ein echter Volvo? Ich habe dem Kleinen auf den Zahn gefühlt. Mit kritischem Blick.
Was genau ist der Volvo EX30 und für wen ist er gedacht?
Der Volvo EX30 ist ein rein elektrisches B-Segment Crossover-SUV (Länge ca. 4,23 m). Er basiert auf der SEA Entry Plattform von Geely und wird mit verschiedenen Batterie- (LFP/NMC) und Motorisierungen (Heck-/Allradantrieb) angeboten. Hauptkonkurrenten sind Smart #1/#3, Jeep Avenger, Mini Countryman Electric, aber auch VW ID.3 oder Cupra Born.
Also, Volvos Antwort auf den E-Auto-Boom im unteren Preissegment. Wobei “unteres Preissegment” bei Volvo immer noch bei über 36.000 Euro anfängt. Aber okay, für einen Volvo ist das günstig. Und er sieht gut aus! Klares, reduziertes Design, typisch Volvo, nur eben im Mini-Format. Geschlossene Front, “Thors Hammer”-Lichter neu interpretiert, knackiges Heck. Das passt. Aber die Basis? Geely SEA Plattform. Das ist die gleiche wie beim Smart #1 oder Zeekr X. Eine moderne E-Plattform, keine Frage. Aber eben auch eine, die auf Kosteneffizienz getrimmt ist. Merkt man das? Oh ja. Gedacht ist er klar für die urbane Zielgruppe: Singles, Paare, junge Familien als Zweitwagen. Leute, die ein stylisches, sicheres E-Auto für die Stadt und gelegentliche Ausflüge suchen und bereit sind, dafür Kompromisse beim Platz und bei manchen Materialien einzugehen. Volvo will Volumen machen mit dem Kleinen. Ein riskantes Spiel zwischen Premium-Anspruch und Preisdruck.

Welche Antriebs- und Batterievarianten gibt es – LFP oder NMC?
Der EX30 bietet drei Antriebsvarianten, basierend auf zwei Batteriechemien:
- Single Motor (Standard Range): Heckantrieb, 200 kW (272 PS), 343 Nm. Batterie: 51 kWh brutto (ca. 49 kWh netto) LFP (Lithium-Eisenphosphat). WLTP-Reichweite: bis 344 km. Die günstigste Einstiegsversion, primär für die Stadt.
- Single Motor Extended Range: Heckantrieb, 200 kW (272 PS), 343 Nm. Batterie: 69 kWh brutto (ca. 64 kWh netto) NMC (Nickel-Mangan-Kobalt). WLTP-Reichweite: bis 476 km. Der Reichweiten-Champion und wahrscheinlich die beste Allround-Wahl.
- Twin Motor Performance: Allradantrieb, 315 kW (428 PS), 543 Nm. Batterie: 69 kWh brutto (ca. 64 kWh netto) NMC. WLTP-Reichweite: bis 450 km. 0-100 km/h in 3,6 s – der schnellste Volvo aller Zeiten! Für Performance-Fans.
Interessant ist die Wahl zwischen LFP und NMC. LFP (Standard Range) ist günstiger, langlebiger, weniger kälteempfindlich beim Laden, hat aber eine geringere Energiedichte. NMC (Extended Range / Performance) bietet mehr Reichweite pro Kilo, ist aber teurer und empfindlicher. Die 272 PS im Single Motor? Mehr als genug für den Kleinen! Damit ist er schon richtig flott. Der Twin Motor mit 428 PS? Das ist schlichtweg absurd in so einem Auto. 3,6 Sekunden auf 100! Damit verbläst man an der Ampel fast alles. Aber braucht man das? Nein. Ist es lustig? Vermutlich. Aber der Single Motor Extended Range mit fast 480 km WLTP ist die vernünftigste und für die meisten wohl beste Wahl. Reichweite schlägt (meistens) brachiale Power.
Wie schlägt er sich bei realer Reichweite und Ladeleistung?
Die Batteriekapazitäten (ca. 49 kWh / 64 kWh netto) sind für das Segment okay. Die 400V-Architektur ermöglicht solide Ladeleistungen.
- Reichweite:
- Standard Range (LFP): WLTP 344 km. Realistisch sind eher 250-300 km. Für die Stadt reicht’s.
- Extended Range / Performance (NMC): WLTP 476/450 km. Im Realbetrieb sind das ca. 350-400 km (Extended Range) bzw. 330-380 km (Performance). Das ist alltagstauglich, aber keine Langstrecken-Wunderwaffe. Der Verbrauch ist mit 17-20 kWh/100 km klassenüblich.
- Ladeleistung:
- Standard Range (LFP): DC max. 134 kW.
- Extended Range / Performance (NMC): DC max. 153 kW.
- AC-Laden ist serienmäßig mit 11 kW, optional mit 22 kW möglich.
Die Ladeleistung ist gut für diese Klasse! Bis zu 153 kW Peak sind mehr als beim VW ID.3 oder Cupra Born. Mini-Fallstudie: Der EX30 Extended Range am Schnelllader
- Problem: Akku muss von 10 % auf 80 % geladen werden.
- Aktion: Ansteuern einer HPC-Säule (≥ 150 kW), Vorkonditionierung aktiv.
- Messbares Ergebnis: Die Ladung dauert offiziell ca. 26-28 Minuten. Das ist flott! Hier profitiert der EX30 von der modernen SEA-Plattform. Auch die optionale 22 kW AC-Lademöglichkeit ist ein dickes Plus für das Laden in der Stadt. Ladetechnisch ist der Kleine also gut aufgestellt. Keine 800 Volt, aber schnell genug für die meisten Fälle.
Tipp von Alex Wind: Wer oft öffentlich lädt, sollte unbedingt den 22 kW AC-Onboard-Charger mitbestellen. Das verkürzt die Ladezeit an vielen innerstädtischen Säulen erheblich und ist den Aufpreis wert.

Wie fühlt sich das radikal minimalistische Cockpit an?
Das Interieur verfügt über einen einzigen, zentralen 12,3-Zoll Vertikal-Touchscreen im Tesla-Stil. Es gibt kein separates Fahrerdisplay/Kombiinstrument. Die Bedienung fast aller Funktionen erfolgt über den Bildschirm (Android Automotive OS mit Google Built-in) oder Sprachsteuerung. Physische Tasten sind Mangelware. Einsatz nachhaltiger/recycelter Materialien.
Minimalismus kann schön sein. Aber was Volvo hier macht, ist schon… gewagt. Kein Display hinterm Lenkrad! Alle Infos (Geschwindigkeit, Navi-Pfeile etc.) stehen oben auf dem Zentralbildschirm. Man muss den Blick also immer leicht zur Seite wenden. Das ist anfangs extrem irritierend und lenkt ab. Man gewöhnt sich dran, ja. Aber optimal ist anders. Auch die Bedienung fast aller Funktionen über den Touchscreen (Scheibenwischer-Intervall, Spiegelverstellung, Handschuhfach öffnen!) ist fummelig. Das Google OS an sich ist super (Maps, Assistant). Aber die Hardware-Reduktion geht hier zu weit. Wo merkt man noch den Sparzwang? Bei den Materialien. Zwar viele schicke Recycling-Stoffe, aber auch viel Hartplastik, besonders im unteren Bereich. Die Verarbeitung ist okay, aber nicht auf dem Niveau eines XC40. Das optionale Harman Kardon Soundsystem in Form einer Soundbar unter der Windschutzscheibe ist clever und klingt gut. Insgesamt: Ein modernes, aber ergonomisch kontroverses Cockpit mit spürbarem Kostendruck.
Fährt er sich wie ein echter Volvo – trotz Geely-Plattform und China-Produktion?
Das Fahrwerk nutzt vorne McPherson-Federbeine, hinten eine Mehrlenkerachse (im Gegensatz zur einfachen Verbundlenkerachse mancher Konkurrenten). Die Abstimmung ist eher straff. Der Twin Motor Performance bietet deutlich sportlichere Fahrleistungen.
Überraschung: Ja, er fährt sich erstaunlich gut! Die Lenkung ist präzise (wenn auch gefühlsarm), das Fahrwerk ist straff, aber nicht unkomfortabel. Er liegt satt auf der Straße, wankt wenig und fühlt sich agil an. Besonders der Twin Motor Performance ist eine Rakete. Dieser ansatzlose Schub aus dem Stand, kombiniert mit dem Allradantrieb – das macht Laune! Er ist kein Go-Kart wie ein Mini, aber deutlich fahraktiver als viele Konkurrenten. Man merkt, dass die SEA-Plattform eine gute Basis ist. Und Volvo hat bei der Abstimmung offenbar ein Wörtchen mitgeredet. Das Fahrgefühl ist also durchaus Volvo-würdig, wenn auch eher auf der dynamischen Seite. Der technische Kompromiss ist der eingeschränkte Federungskomfort auf sehr schlechten Straßen. Aber insgesamt fährt er sich sehr erwachsen und sicher. Passt.

Historischer Kontext: Volvos Weg nach unten (im Preissegment)
Volvo war traditionell im Premium-Segment unterwegs. Der EX30 ist der erste Vorstoß in die preisgünstigere Kompaktklasse unterhalb des XC40/EX40. Dieser Schritt wurde durch die Zugehörigkeit zum Geely-Konzern ermöglicht, der mit der SEA-Plattform eine kosteneffiziente Basis für kleinere E-Autos bereitstellt. Der EX30 soll Volvo neue, jüngere Käuferschichten erschließen und das Elektro-Volumen deutlich steigern. Er ist ein strategisch extrem wichtiges Auto für Volvos Transformation zur reinen E-Marke bis 2030. Er opfert traditionelle Volvo-Tugenden (Platz, opulente Materialien) zugunsten von Preis, Design und Nachhaltigkeit, um im Massenmarkt zu punkten.
Advokat des Teufels: Was sind die größten Nachteile des EX30?
Neben dem kontroversen Bedienkonzept ohne Fahrerdisplay und dem spürbaren Kostendruck bei Materialien sind es:
- Platzangebot: Vorne okay, aber hinten sehr eng. Nur für Kinder oder kurze Strecken.
- Kofferraum: Mit 318 Litern plus 7 Liter Frunk extrem klein für ein SUV, selbst in dieser Klasse. Kaum familientauglich.
- Qualitätsanmutung im Detail: Manche Kunststoffe wirken billig, die Verarbeitung ist nicht immer perfekt (frühe Modelle).
- Software-Reife: Anfangs gab es Berichte über Software-Bugs und langsame Reaktionen des Systems. OTA-Updates sollen dies verbessern.
- Sicherheit?: Obwohl Volvo draufsteht – die passive Sicherheit basiert auf einer Geely-Plattform, nicht auf der bewährten SPA/CMA-Architektur. Euro NCAP gab zwar 5 Sterne, aber ob er die gleiche Robustheit wie ein XC40 bietet? Abwarten.
Er ist eben kein geschrumpfter XC40, sondern ein anderes Konzept. Man muss die Kompromisse kennen.

Anekdote: Der Ampel-Schreck
Ich stand mit dem EX30 Twin Motor Performance an einer roten Ampel. Neben mir ein aufgemotzter Kompaktsportler mit lautem Auspuff. Der Fahrer musterte den kleinen Volvo belustigt. Als die Ampel auf Grün sprang, trat ich voll durch. Die 428 Elektro-PS katapultierten den EX30 mit einer solchen Wucht nach vorne, dass der Sportwagenfahrer nur noch ungläubig hinterherschauen konnte. Dieses Beschleunigungspotenzial in dem unscheinbaren kleinen SUV – das ist schon ein Statement. Völlig übermotorisiert, aber irgendwie cool.
Zukünftiger Ausblick: Die Zukunft kleiner Volvos auf SEA-Basis?
Der EX30 ist nur der Anfang. Die SEA-Plattform von Geely wird die Basis für weitere kompakte und mittelgroße Elektro-Volvos bilden. Ein EX60 (als elektrischer Nachfolger des XC60) auf der SEA-Architektur ist wahrscheinlich. Volvo nutzt die Synergien im Konzern, um sein E-Portfolio schnell auszubauen und Kosten zu senken. Der EX30 zeigt die Richtung: Modernes Design, Google OS, Fokus auf Nachhaltigkeit – aber eben auch Kompromisse bei traditionellen Volvo-Tugenden wie Platz und Material-Opulenz, um wettbewerbsfähige Preise zu erzielen. Das wird spannend zu beobachten sein, wie die Marke diesen Spagat meistert.
Merkmal | Volvo EX30 Single Motor ER | Smart #1 Pro+ | Mini Countryman E | Jeep Avenger Elektro |
Konzept | B-SUV Crossover (SEA) | B-SUV Crossover (SEA) | Kompakt SUV (FAAR) | B-SUV Crossover (eCMP) |
Leistung (ca.) | 272 PS | 272 PS | 204 PS | 156 PS |
Akku (Netto) | ca. 64 kWh (NMC) | 62 kWh (NMC) | ca. 64 kWh (NMC) | ca. 51 kWh (NMC) |
Max. Reichw. (WLTP) | ca. 476 km | ca. 420 km | ca. 462 km | ca. 400 km |
Max. Ladeleist. (DC) | 153 kW | 150 kW | 130 kW | 100 kW |
Cockpit | Minimalistisch (Zentral) | Modern (Zentral) | Rundes OLED | Modern (Zentral) |
Preis (Basis ~60kWh, ca.) | ab 42.000 € | ab 40.000 € | ab 45.000 € | ab 37.000 € |
Fazit: Der Volvo EX30 ist ein mutiger und größtenteils gelungener Vorstoß von Volvo in die elektrische Kompaktklasse. Er sieht fantastisch aus, fährt sich erstaunlich agil (besonders als Twin Motor), bietet moderne Technik (Google OS) und gute Ladeleistungen zu einem für Volvo-Verhältnisse attraktiven Preis. Die Schwächen liegen klar im Platzangebot (Fond, Kofferraum), dem radikalen Bedienkonzept ohne Fahrerdisplay und dem spürbaren Kostendruck bei den Materialien. Er ist kein typischer Volvo, sondern ein Kind der Geely-Kooperation – mit allen Vor- und Nachteilen. Wer ein stylisches, schnelles E-Auto für die Stadt und gelegentliche Ausflüge sucht und mit den Kompromissen leben kann, findet hier eine überzeugende Option. Wer aber einen praktischen Familien-Volvo erwartet, sollte lieber zum (deutlich teureren) EX40/XC40 Recharge greifen. Ein spannender kleiner Kerl, aber einer mit Ecken und Kanten.






