Retrospektive & Kaufratgeber: Jaguar E-PACE (bis 2025) – Kompakter Raubkatzen-Abschied

Jaguar räumt auf. Radikal. Im Zuge der “Reimagine”-Strategie wird fast das gesamte aktuelle Portfolio eingestampft, um Platz für eine neue Ära ultraluxuriöser Elektroautos zu schaffen. Dieses Schicksal ereilt auch den E-PACE, Jags kompaktes SUV, das seit 2017 gegen BMW X1, Audi Q3 und Mercedes GLA antrat. Ende 2024 ist Schluss. Ein Nachfolger? Nicht in Sicht. Doch bevor die letzte Klappe fällt, lohnt ein Blick zurück. War der E-PACE mehr als nur ein schickes Gesicht? Und taugt er als Gebrauchter, jetzt, wo seine Zukunft besiegelt ist? Eine schonungslose Bilanz.

Was war der Jaguar E-PACE (X540) und für wen war er gedacht?

Der Jaguar E-PACE (X540) war ein kompaktes Premium-SUV, basierend auf der Premium Transverse Architecture (PTA) von Jaguar Land Rover (technisch verwandt mit Range Rover Evoque und Land Rover Discovery Sport). Angeboten wurde er mit Vierzylinder-Benzin- und Dieselmotoren (Ingenium), Mild-Hybrid-Optionen und einer Plug-in-Hybrid-Variante (P300e). Allradantrieb war bei den meisten Modellen Standard.

Er war Jags Versuch, im lukrativen Kompakt-SUV-Segment mitzumischen. Kleiner, günstiger, jünger positioniert als der F-PACE. Das Design? Unverkennbar Jaguar, knackige Proportionen, vom F-Type inspiriert. Sah gut aus, keine Frage. Aber unter dem Blech? Da steckte eben die Quermotor-Plattform vom Evoque, nicht die sportliche Längsmotor-Architektur der Limousinen. Das merkte man. Er war kein Leichtgewicht und fahrdynamisch eher solide als brillant. Gedacht war er für die junge, urbane Premium-Kundschaft, die einen stylischen Alltagsbegleiter mit Raubkatzen-Logo suchte. Ein Auto fürs Image, weniger für die Rennstrecke.

Warum wird der E-PACE eingestellt? Passte er nicht mehr?

Die Einstellung des E-PACE ist Teil von Jaguars radikaler Neuausrichtung unter CEO Thierry Bolloré (bzw. seinen Nachfolgern). Die Marke will sich komplett neu erfinden: Höher positioniert, ultraluxuriös, rein elektrisch (ab 2025), mit deutlich geringeren Stückzahlen und höheren Margen. Ein Volumenmodell wie der E-PACE, basierend auf einer Verbrenner-Plattform, passt nicht mehr in diese exklusive Strategie. Er wird zusammen mit XE, XF, F-PACE und F-Type geopfert.

Es ist eine brutale, aber konsequente Entscheidung. Jaguar war gefangen im Spagat zwischen Volumen und Luxus, zwischen Tradition und Moderne. Die “Reimagine”-Strategie ist ein Alles-oder-Nichts-Versuch, die Marke an die absolute Spitze zu katapultieren, quasi als britisches Bentley auf Elektro-Basis. Ob das klappt? Steht in den Sternen. Aber für den E-PACE bedeutet es das Aus. Er war zu “normal”, zu sehr Massenmarkt für die neue Edel-Strategie.

Welche Motoren gab es und welcher ist als Gebrauchter die beste Wahl?

Die Motorenpalette basierte auf den Ingenium Vierzylindern von JLR, oft mit Mild-Hybrid (MHEV). Die Krönung war der Plug-in-Hybrid (PHEV).

  • Diesel (D165 / D200 MHEV): 2.0L Vierzylinder-Diesel mit 163 PS oder 204 PS (Mild-Hybrid). Sparsam (Real um 6-7 Liter), aber die Ingenium-Diesel hatten anfangs nicht den besten Ruf bezüglich Zuverlässigkeit (Steuerketten-Thematik bei frühen Baujahren). Spätere Modelle (ab Facelift 2021) gelten als solider. Der D200 ist die souveränere Wahl.
  • Benziner (P200 / P250 / P300 MHEV): 2.0L Vierzylinder-Turbobenziner mit 200, 249 oder 300 PS (alle Mild-Hybrid nach Facelift). Bieten gute Fahrleistungen, sind aber durstig (Real 9-11 Liter). Der P250 MHEV ist ein guter Kompromiss. Der P300 MHEV war die sportlichste, aber auch trinkfreudigste Option (abgesehen vom PHEV).
  • Plug-in-Hybrid (P300e): Kombiniert einen 1.5L Dreizylinder-Turbobenziner (vorne) mit einem Elektromotor (80 kW) an der Hinterachse (elektrischer Allrad). Systemleistung: 309 PS. Batterie: 15 kWh (brutto). Rein elektrische Reichweite (WLTP): bis zu 59 km. AC-Laden mit 7 kW, DC-Schnellladen mit bis zu 32 kW. Der P300e ist technisch die interessanteste und oft (als Firmenwagen) die wirtschaftlichste Variante.

Tipp von Alex Wind: Der P300e Plug-in-Hybrid ist die spannendste Wahl, wenn man laden kann. Gute Leistung, brauchbare E-Reichweite und sogar DC-Laden. Wer einen Verbrenner bevorzugt: Der P250 MHEV Benziner ist ein solider Allrounder. Bei den Dieseln lieber zu späten Baujahren des D200 MHEV greifen und die Historie genau prüfen.

Wie schlägt sich der Plug-in-Hybrid P300e im Alltag?

Der P300e war Jags erster Plug-in-Hybrid auf der PTA-Plattform und technisch identisch zum Evoque P300e. Die 15 kWh Batterie ermöglicht eine reale E-Reichweite von ca. 40-50 km. Das ist gut für den Pendler-Alltag. Die Systemleistung von 309 PS sorgt für flotte Fahrleistungen (0-100 km/h in 6,5 s). Der Dreizylinder-Benziner läuft erstaunlich kultiviert, wird unter Volllast aber hörbar. Der elektrische Allradantrieb sorgt für gute Traktion. Die DC-Ladefähigkeit (ca. 30 Min. für 0-80%) ist ein klares Plus gegenüber vielen Konkurrenten ohne diese Option. AC-Laden dauert ca. 2 Stunden (7 kW). Insgesamt ein gelungenes PHEV-Paket, das den E-PACE spürbar aufwertet.

Wie zuverlässig ist der E-PACE als Gebrauchter?

Jaguar Land Rover hat generell einen durchwachsenen Ruf. Der E-PACE bildet da keine komplette Ausnahme, gilt aber als solider als manche seiner größeren Geschwister. Die PTA-Plattform ist ausgereift.

  • Motoren: Wie erwähnt, frühe Ingenium-Diesel (bis ca. 2019/20) genau prüfen (Steuerkette, Turbo). Benziner gelten als unauffälliger. Der Dreizylinder im PHEV scheint robust.
  • Elektronik: Das größte Sorgenkind. Besonders das ältere Touch Pro Infotainment (bis 2020) war langsam und fehleranfällig. Das Pivi Pro System (ab Facelift 2021) ist deutlich besser, aber auch nicht völlig frei von Software-Macken. Probleme mit Assistenzsystemen oder der Bordelektronik können vorkommen.
  • Verarbeitung: Innenraum-Materialien sind hochwertig, aber die Verarbeitungsqualität im Detail erreichte nicht immer das Niveau der deutschen Konkurrenz. Klappergeräusche sind möglich.
  • Fahrwerk: Solide, aber auf Verschleiß an Buchsen/Gelenken achten.

Fazit zur Zuverlässigkeit: Kein Musterschüler, aber auch kein Totalausfall. Modelle nach dem Facelift 2021 mit Pivi Pro sind klar zu bevorzugen. Eine lückenlose Historie und eine gute Gebrauchtwagengarantie sind dringend empfohlen.

Ist der Innenraum auch heute noch schick?

Das Interieur war immer eine Stärke des E-PACE – zumindest optisch. Das Design ist fahrerorientiert, die Materialien (besonders in höheren Ausstattungen mit Windsor-Leder) wirken edel.

  • Facelift (ab 2021): Das Pivi Pro Infotainment mit dem gebogenen 11,4-Zoll-Touchscreen ist ein riesiger Fortschritt gegenüber dem Vorgänger. Es ist schneller, vernetzter und intuitiver. Das digitale Kombiinstrument (optional) ist ebenfalls modern. Der neue Automatikwählhebel wirkt hochwertiger.
  • Platzangebot: Vorne gut, im Fond jedoch sehr eng für ein Auto dieser Klasse. Das ist eine der größten Schwächen. Der Kofferraum ist mit ca. 494 Litern (PHEV: 494 L!) okay, aber nicht riesig.

Insgesamt ein schickes, hochwertig anmutendes Cockpit (besonders nach dem Facelift), das aber unter dem mäßigen Platzangebot im Fond leidet.

Advokat des Teufels: Was sind die größten Nachteile des E-PACE?

  1. Platzangebot Fond: Zu eng für ein Kompakt-SUV dieser Preisklasse.
  2. Gewicht & Fahrdynamik: Er ist relativ schwer (Leergewicht oft über 1,8 Tonnen, PHEV über 2,1 Tonnen). Das wirkt sich auf Agilität und Effizienz aus. Er fährt sich sicher und komfortabel, aber nicht so sportlich, wie das Design verspricht.
  3. Zuverlässigkeitsbedenken: Historische JLR-Schwächen bei Elektronik und frühen Motoren.
  4. Hoher Preis / Wertverlust: Als Neuwagen war er teuer, der Wertverlust ist überdurchschnittlich (Vorteil für Gebrauchtkäufer).
  5. Zukunft der Marke/Service: Auch wenn Service und Teile gesichert sein sollen – der Kauf eines Modells einer Marke, die sich radikal neu erfindet und deren Händlernetz sich möglicherweise verändert, birgt Unsicherheiten.

Anekdote: Der getarnte Evoque?

Ich stieg aus einem Range Rover Evoque P300e direkt in einen Jaguar E-PACE P300e um. Gleicher Motor, gleiches Getriebe, gleiches Infotainment (Pivi Pro), gleicher E-Antrieb an der Hinterachse. Selbst das Fahrgefühl war erstaunlich ähnlich – komfortabel, souverän, aber nicht gerade sportlich. Der Hauptunterschied? Das Logo, die äußere Hülle und ein paar Details im Innenraum. Diese technische Nähe zum komfortableren Evoque erklärt vielleicht, warum der E-PACE nie der ganz große Dynamiker wurde, den sich manche von einem Jaguar erhofft hatten. Er war eher der schicke Bruder im Sportdress.

Vergleich mit gebrauchten deutschen Konkurrenten

Merkmal (ca. 3-4 Jahre alt)
Jaguar E-PACE P250 MHEV
BMW X1 xDrive20i (F48)
Audi Q3 45 TFSI quattro
Mercedes GLA 250 4MATIC
Konzept
Kompakt SUV (Premium)
Kompakt SUV (Premium)
Kompakt SUV (Premium)
Kompakt SUV (Premium)
Leistung (ca.)
249 PS
178 PS
245 PS
224 PS
Antrieb
AWD MHEV
AWD
quattro
4MATIC
Innenraum-Anmutung
Gut
Gut
Sehr gut
Sehr gut (MBUX)
Platz Fond
Mäßig
Gut
Gut
Gut
Preis (Index)
Attraktiv
Mittel
Mittel
Eher Hoch

Fazit: Der Jaguar E-PACE ist als Gebrauchter vor allem eines: ein wunderschönes Auto. Sein Design sticht auch heute noch aus der SUV-Masse heraus. Modelle nach dem Facelift 2021 mit dem Pivi Pro System und idealerweise als P300e Plug-in-Hybrid sind technisch deutlich attraktiver als frühe Exemplare. Er bietet einen hochwertigen Innenraum und ein komfortables Fahrgefühl. Die Schwächen liegen im engen Fond, dem hohen Gewicht und den potenziellen Zuverlässigkeitsrisiken. Wer ein stilvolles Kompakt-SUV sucht, das nicht jeder fährt, und bereit ist, kleine Kompromisse einzugehen (und eine gute Garantie abzuschließen), findet im späten E-PACE eine charmante, oft preislich interessante Alternative. Ein Abschied auf leisen Pfoten, der aber als Gebrauchter noch eine Weile nachhallen könnte.

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Author: Alex Wind
Alex Wind ist Gründer von HH-AUTO und Chefredakteur des Mediennetzwerks. Als studierter Fahrzeugtechniker (FH Esslingen) mit über 10 Jahren Erfahrung in der Automobilindustrie (u.a. Qualitätssicherung) und Mitglied im Verband der Automobiljournalisten (VDAJ), legt er den Fokus auf fundierte Testberichte, technische Analysen und Import-Checks.

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