Retrospektive & Kaufratgeber: Warum der Kia e-Soul (2019-2024) als Gebrauchter (noch) rockt

Er war Kias unkonventioneller Beitrag zur Elektromobilität: der Kia Soul, der in seiner dritten Generation in Europa ausschließlich als e-Soul mit Elektroantrieb antrat. Mit seinem unverwechselbaren, boxartigen Design polarisierte er – man liebte ihn oder fand ihn schrullig. Doch trotz seiner Qualitäten hat Kia den Verkauf des e-Soul in Deutschland leise eingestellt, um Platz für neuere Modelle zu schaffen. Das macht ihn nun zu einem interessanten Kandidaten auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Ist der kultige Stromer eine smarte Wahl aus zweiter Hand?

Was war der Kia e-Soul und warum ist er verschwunden?

Der Kia e-Soul der dritten Generation (Code SK3, 2019-2024) war ein kompaktes Crossover-SUV, das auf einer modifizierten Plattform basierte, die sowohl Verbrenner (nicht in EU angeboten) als auch Elektroantriebe aufnehmen konnte. Sein Alleinstellungsmerkmal war das Design: hoch, kastenförmig, mit schmalen LED-Augen vorne und einem markanten Leuchtenband am Heck. Er bot überraschend viel Platz auf kleiner Grundfläche und eine hohe Sitzposition.

Sein Verschwinden vom deutschen Markt hat strategische Gründe. Kia hat sein Elektro-Portfolio massiv ausgebaut (Niro EV, EV3, EV6, EV9). Der e-Soul, technisch eng verwandt mit dem älteren Hyundai Kona Elektro und dem ersten Kia Niro EV, passte mit seiner 400V-Architektur und dem weniger modernen Infotainment nicht mehr perfekt in die neue E-GMP-fokussierte Strategie. Er wurde quasi Opfer des eigenen Erfolgs und der schnellen Weiterentwicklung im Konzern.

Welche E-Versionen gab es und welche lohnt sich als Gebrauchter?

Kia bot den e-Soul in Europa mit zwei Batterie- und Motorvarianten an, beide mit Frontantrieb:

  1. e-Soul mit 39,2 kWh Akku: Die Basisversion mit 100 kW (136 PS). WLTP-Reichweite: ca. 276 km. Diese Variante ist günstiger in der Anschaffung, aber die Reichweite ist im realen Betrieb (besonders im Winter eher 180-200 km) stark limitiert. Sie eignet sich primär als reines Stadtauto oder für Kurzstreckenpendler. DC-Ladeleistung: maximal ca. 50-70 kW.
  2. e-Soul mit 64 kWh Akku: Die deutlich empfehlenswertere Long-Range-Version mit 150 kW (204 PS). WLTP-Reichweite: ca. 452 km. Im Realbetrieb sind 350-400 km gut machbar. Diese Version ist spürbar flotter unterwegs (0-100 km/h in 7,9 s) und bietet dank des größeren Akkus echte Allround-Qualitäten. DC-Ladeleistung: maximal ca. 77 kW (oft als “bis zu 100 kW” beworben, aber selten erreicht).

Tipp von Alex Wind: Suchen Sie unbedingt nach der 64 kWh-Version. Der Aufpreis auf dem Gebrauchtwagenmarkt ist den enormen Reichweitengewinn und die etwas bessere Ladeleistung absolut wert. Die 39 kWh-Variante ist nur für sehr spezifische, reichweitenunkritische Anforderungsprofile sinnvoll.

Wie schlägt sich der e-Soul bei Reichweite und Laden heute noch?

Hier zeigt sich das Alter der Technik im Vergleich zu Kias neueren E-GMP-Modellen.

  • Reichweite: Die 350-400 km Realreichweite der 64 kWh-Version sind immer noch ein sehr guter Wert für ein kompaktes E-Auto und absolut alltagstauglich. Der Verbrauch ist mit ca. 16-18 kWh/100 km klassenüblich.
  • Ladeleistung: Die maximale DC-Ladeleistung von ca. 77 kW (64 kWh-Modell) ist der Schwachpunkt. Während neuere 400V-Autos oft 100-150 kW erreichen und 800V-Modelle über 200 kW schaffen, braucht der e-Soul seine Zeit an der Schnellladesäule.

Mini-Fallstudie: Der Ladestopp mit dem 64 kWh e-Soul

  • Problem: Auf längerer Fahrt muss nachgeladen werden.
  • Aktion: Anfahrt an eine HPC-Säule (z.B. 150 kW).
  • Messbares Ergebnis: Die Ladung von 10 % auf 80 % dauert ca. 50-55 Minuten. Das ist fast doppelt so lange wie bei einem aktuellen Kia EV6 oder Hyundai Ioniq 5. Für gelegentliche Langstrecken ist das okay, für Vielfahrer kann es nerven. AC-Laden erfolgt mit bis zu 11 kW (ca. 6h 50min für 10-100% bei 64 kWh).

Was sind die Stärken und Schwächen als Gebrauchter?

Der e-Soul hat als Gebrauchter einige klare Vor- und Nachteile.

Stärken:

  • Einzigartiges Design: Er sticht aus der Masse heraus.
  • Sehr gutes Platzangebot: Trotz kompakter Abmessungen bietet der hohe Aufbau viel Kopf- und Beinfreiheit, auch im Fond. Sehr luftiges Raumgefühl.
  • Hohe Ausstattung: Oft sehr gut ausgestattet (Wärmepumpe Serie bei 64 kWh, viele Assistenten, teilw. Head-up-Display, Harman Kardon Sound).
  • Bewährte Technik: Der Antriebsstrang (Motor, Akku) gilt als robust und langlebig (bekannt aus Kona/Niro). Kias lange Neuwagengarantie (7 Jahre) überträgt sich oft auf den Gebrauchtkäufer (Akkugarantie beachten!).
  • Attraktive Preise: Durch das Produktionsende und das weniger massentaugliche Design sind die Gebrauchtwagenpreise oft günstiger als bei vergleichbaren Niro EV oder Kona Elektro.

Schwächen:

  • Mäßige DC-Ladeleistung: Längere Pausen auf der Langstrecke.
  • Kleiner Kofferraum: Nur 315 Liter sind unterdurchschnittlich für die Fahrzeugklasse. Kein Frunk.
  • Polarisierendes Design: Muss man mögen.
  • Infotainment: Funktional, aber nicht mehr das Neueste (kein kabelloses CarPlay/Android Auto in den meisten Versionen).

Historischer Kontext: Der Soul als Kias Design-Ikone

Der Soul war von seiner ersten Generation (ab 2008) an immer Kias “Design-Statement”. Er war nie als reines Vernunftauto gedacht, sondern als Ausdruck von Individualität. Während die ersten beiden Generationen noch mit Verbrennern (und kurzzeitig als EV) angeboten wurden, traf Kia für die dritte Generation in Europa die mutige Entscheidung, ihn nur noch als Elektroauto zu bringen. Das unterstrich Kias Ambitionen in der E-Mobilität, limitierte aber gleichzeitig das Absatzpotenzial. Der e-Soul war somit die konsequente Fortführung der Soul-Idee: anders sein, auffallen, aber diesmal rein elektrisch.

Worauf muss man beim Kauf eines gebrauchten e-Soul achten?

Neben den üblichen Gebrauchtwagen-Checks (Unfallfreiheit, Servicehistorie, Zustand von Reifen/Bremsen) sind beim e-Soul spezifische Punkte wichtig:

  • Akku-Gesundheit (SoH – State of Health): Lassen Sie den Gesundheitszustand der Batterie auslesen (beim Kia-Händler oder spezialisierten Werkstätten). Die Garantie deckt meist eine Kapazität von über 70 % ab.
  • Ladeanschlüsse prüfen: Funktionieren AC- und DC-Laden einwandfrei? Korrosion am CCS-Port?
  • Wärmepumpe (64 kWh): Ist Serie, aber Funktion prüfen (wichtig für Winterreichweite).
  • Ausstattungsvariante: Frühe Modelle hießen “Spirit”, spätere “Inspiration”. Vergleichen Sie die Details (LED-Scheinwerfer, Assistenzsysteme, Soundsystem).
  • Garantie-Status: Wie lange läuft die 7-Jahres-Garantie noch? Wurden alle Inspektionen fristgerecht bei Kia durchgeführt (Voraussetzung für Garantieerhalt)?

Anekdote: Der Raumwürfel

Ich holte einmal Freunde vom Flughafen ab – zwei Erwachsene mit großen Koffern. Beim Anblick des e-Soul waren sie skeptisch: “Passt das da rein?” Ich klappte die Rückbank um und staunte selbst: Dank der fast senkrechten Heckklappe und des hohen Dachs schluckte der kleine Soul das Gepäck problemlos. Er ist ein Meister des “Verpackens” – außen kompakt, innen überraschend geräumig, solange man nicht mehr als zwei Personen transportiert.

Welche Alternativen gibt es auf dem Gebrauchtmarkt?

Wer einen gebrauchten e-Soul in Betracht zieht, sollte auch diese Modelle prüfen:

  • Hyundai Kona Elektro (Gen 1, bis 2023): Technisch fast identisch (39/64 kWh), aber anderes Design und Cockpit. Oft etwas günstiger.
  • Kia Niro EV (Gen 1, “e-Niro”, bis 2022): Ebenfalls gleiche Technik, aber konventionelleres Kombi-Design und größerer Kofferraum. Beliebter und daher teurer.
  • Renault Zoe (späte Modelle mit 52 kWh): Gute Reichweite, aber deutlich langsameres AC- und DC-Laden. Innen einfacher.
  • VW ID.3 (frühe Modelle): Modernere Plattform, besseres DC-Laden, aber oft Software-Probleme bei frühen Jahrgängen und weniger Ausstattung.
Merkmal
Kia e-Soul (64 kWh)
Hyundai Kona Elektro (64 kWh)
Kia e-Niro (64 kWh)
VW ID.3 Pure/Pro (58 kWh)
Max. Reichw. (WLTP)
ca. 452 km
ca. 484 km
ca. 455 km
ca. 426 km
Max. Ladeleist. (DC)
ca. 77 kW
ca. 77 kW
ca. 77 kW
ca. 120 kW
Kofferraum
315 L
332 L
451 L
385 L
Design
Polarisierend
Eigenständig
Konservativ
Modern
Gebrauchtpreis (Index)
Mittel
Eher günstig
Eher teuer
Mittel

Fazit: Der Kia e-Soul ist als Gebrauchter eine charmante und unterschätzte Option. Wer das Design mag und mit der mäßigen Schnellladeleistung leben kann, bekommt ein gut ausgestattetes, geräumiges und zuverlässiges Elektroauto zu oft attraktiven Preisen. Die 64-kWh-Version ist dabei klar die bessere Wahl. Er ist kein Langstrecken-Champion, aber ein Charakterkopf für den elektrischen Alltag – und vielleicht gerade wegen seines baldigen Seltenheitswerts eine Überlegung wert.

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Author: Alex Wind
Alex Wind ist Gründer von HH-AUTO und Chefredakteur des Mediennetzwerks. Als studierter Fahrzeugtechniker (FH Esslingen) mit über 10 Jahren Erfahrung in der Automobilindustrie (u.a. Qualitätssicherung) und Mitglied im Verband der Automobiljournalisten (VDAJ), legt er den Fokus auf fundierte Testberichte, technische Analysen und Import-Checks.

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