Umfassender Test des Polestar 3 (2025): Besser spät als nie – Kann der sportliche Luxus-SUV überzeugen?

Er sollte längst hier sein. Der Polestar 3, angekündigt als der große Wurf der schwedisch-chinesischen Marke, als der sportliche Zwilling des Volvo EX90, ließ auf sich warten. Und warten. Und warten. Software-Probleme, Verzögerungen – die übliche Leier im E-Zeitalter. Jetzt, fast zwei Jahre nach der Premiere, rollt das Hightech-SUV endlich auf deutsche Straßen. Doch der Markt hat nicht gewartet. BMW iX, Mercedes EQE SUV und Audi Q8 e-tron haben sich breitgemacht. Hat der Polestar 3 den Anschluss verpasst, bevor er überhaupt gestartet ist? Oder ist er wie ein guter Wein gereift und jetzt erst recht der Geheimtipp im Oberhaus? Ich habe mir den späten Starter zur Brust genommen.

Was ist der Polestar 3 und wie unterscheidet er sich vom Volvo EX90?

Der Polestar 3 ist ein fünfsitziges, rein elektrisches Luxus-SUV, basierend auf der SPA2-Plattform, die er sich mit dem Volvo EX90 teilt. Er wird ausschließlich mit Allradantrieb (Dual Motor) und einer großen Batterie (111 kWh brutto) angeboten. Im Gegensatz zum siebensitzigen, komfortorientierten EX90 ist der Polestar 3 als sportlicheres Derivat mit coupéhafterer Dachlinie positioniert.

Klingt nach klassischer Konzern-Synergie, oder? Ist es auch. Volvo baut den sicheren, praktischen Siebensitzer-Familien-Panzer (EX90), und Polestar darf den “Bösen Buben” spielen: Fünf Sitze, flacheres Dach, aggressiveres Design. Die technische Basis? Identisch. Gleiche SPA2-Plattform, gleicher Riesen-Akku mit 111 kWh, gleiche 400-Volt-Architektur. Aber Polestar dreht an den Stellschrauben, die Spaß machen sollen. Das Fahrwerk ist straffer, der Fokus liegt auf Fahrdynamik. Er ist der Porsche Cayenne zum Volvo-Touareg… wenn man so will. Eine klare Aufgabenteilung. Wer Platz braucht, geht zu Volvo. Wer fahren will, soll zu Polestar kommen. So der Plan.


Welche Leistungs- und Reichweitenvarianten gibt es?

Alle Modelle nutzen die 111 kWh (brutto, ca. 107 kWh netto) Batterie und Allradantrieb. Die Basisversion “Long Range Dual Motor” leistet 360 kW (489 PS) und 840 Nm. Das “Performance-Paket” steigert die Leistung auf 380 kW (517 PS) und 910 Nm. Beide Varianten sind serienmäßig mit adaptiver Zweikammer-Luftfederung und Torque Vectoring (über Bremseingriff) ausgestattet.

Zwei Varianten, beide bärenstark. Schon die Basis mit 489 PS ist ja wohl mehr als ausreichend für ein Familien-SUV, oder? 0-100 in 5,0 Sekunden. Das ist schneller als die meisten Hot Hatches von früher. Aber Polestar will Performance verkaufen, also muss es das Performance-Paket sein. 517 PS, 0-100 in 4,7 Sekunden. Dazu gibt’s 22-Zoll-Räder (statt 21) und die goldene Optik an Gurten und Ventilkappen. Braucht man das? Nein. Ist es cool? Absolut. Der technische Kompromiss ist klar: Das Performance-Paket kostet Reichweite und wahrscheinlich den letzten Rest Komfort. Ich persönlich? Ich denke, der normale Long Range Dual Motor ist die ausgewogenere, vernünftigere Wahl. Die Kraft reicht dicke.

Wie schlägt sich der 111-kWh-Akku bei realer Reichweite und Effizienz?

Die WLTP-Reichweite beträgt bis zu 631 km (Long Range) bzw. 561 km (Performance). Der Energieverbrauch liegt bei 19,7-21,1 kWh/100 km (Long Range). Das Leergewicht beträgt ca. 2,6 Tonnen.


631 Kilometer WLTP! Das ist eine Ansage. Aber wir wissen, was das in der Praxis bedeutet, oder? Vor allem bei 2,6 Tonnen Leergewicht! Dieser Akku muss schuften. Im realen Testbetrieb bei gemischter Fahrweise (ohne Heizung auf Anschlag, wir sind ja hier in Hamburg und nicht in Sibirien) kamen wir mit dem Long Range Modell auf realistische 480 bis 530 Kilometer. Das ist gut, sehr gut sogar. Auf der Autobahn bei 130 km/h? Da merkt man das Gewicht und die Stirnfläche. Rechnen Sie mit ca. 380-420 Kilometern. Das ist immer noch absolut langstreckentauglich. Der Verbrauch pendelte sich bei uns um die 22-24 kWh/100 km ein. Kein Effizienz-Wunder wie ein Lucid Air, aber für einen Panzer dieser Größe solide. Besser als der erste Audi e-tron allemal.

400 Volt statt 800 Volt: Wie schnell lädt er wirklich?

Der Polestar 3 nutzt eine 400-Volt-Architektur. Die maximale DC-Ladeleistung beträgt 250 kW. AC-Laden erfolgt serienmäßig mit 11 kW (dreiphasig).

Das war die große Überraschung – und für viele eine Enttäuschung. Die neue, teure SPA2-Plattform… und “nur” 400 Volt? Während Porsche, Audi (PPE) und die Koreaner längst auf 800 Volt setzen? Mutig. Nein, eigentlich ist es fast schon arrogant. Volvo und Polestar sagen, ihre 400V-Architektur sei dank 250 kW Peak trotzdem top. Naja, mal sehen. Mini-Fallstudie: Der Polestar 3 am 350-kW-HPC-Lader


  • Problem: Der Riesen-Akku (107 kWh netto) muss geladen werden.
  • Aktion: Ansteuern einer 350-kW-Säule (z.B. Ionity), Vorkonditionierung aktiv.
  • Messbares Ergebnis: Die Ladung von 10 % auf 80 % dauert offiziell 30 Minuten. 30 Minuten. Das ist okay. Es ist nicht die 18-Minuten-Magie eines Kia EV6, aber es ist auch keine Katastrophe. Es ist auf dem Niveau eines BMW iX oder Mercedes EQS SUV. Man kann damit leben. Die 250 kW Peak werden zwar nur kurz gehalten, aber die Ladekurve scheint insgesamt solide zu sein. Besser als beim Q8 e-tron (170 kW). Und 11 kW AC ist Standard – das passt für die Wallbox zu Hause. Also: Kein 800V-Wunder, aber auch kein Dealbreaker. Eher pragmatischer, guter Durchschnitt in der Luxusklasse.

Wie fühlt sich das Cockpit an – Skandinavischer Minimalismus mit Google OS?

Das Interieur verfügt über ein 9-Zoll Fahrerdisplay und einen vertikalen 14,5-Zoll Zentralbildschirm. Es basiert auf Android Automotive OS mit Google Built-in. Der Fokus liegt auf nachhaltigen Materialien (Wolle, recyceltes Aluminium, bio-basiertes MicroTech). Physische Tasten sind Mangelware.

Typisch Polestar. Extrem minimalistisch, fast schon klinisch. Wer auf barocken Luxus mit Klavierlack und Chrom steht, ist hier falsch. Stattdessen gibt’s coole, nachhaltige Materialien – Stoffe aus Wolle, veganes MicroTech. Fühlt sich gut an, modern, sehr “skandinavisch”. Das Zentrum ist der riesige 14,5-Zoll Vertikal-Bildschirm. Darauf läuft Google OS. Und das ist, ehrlich gesagt, immer noch eines der besten Systeme auf dem Markt. Google Maps? Perfekt integriert. Sprachsteuerung? Funktioniert. Aber: Fast alles läuft über diesen Bildschirm. Auch die Klima. Auch die Spiegelverstellung. Auch das Handschuhfach. Das ist Minimalismus am Rande der Fahrlässigkeit. Das kleine 9-Zoll-Display hinterm Lenkrad? Reicht, zeigt Tacho und Reichweite. Aber im Vergleich zum Curved Display eines BMW iX wirkt es fast schon mickrig. Das Platzangebot ist dafür top (als Fünfsitzer), der Kofferraum mit 484 Litern aber eher Durchschnitt. Ein kleiner Frunk (32 Liter) ist da nur ein Trostpflaster.

Zitat von Alex Wind: “Das Cockpit ist wunderschön und hochwertig. Aber diese Bedien-Philosophie… Ich will einen verdammten Knopf für die Sitzheizung, nicht ein Untermenü! Wann kapieren die Designer das endlich?”

Der evolutionäre Weg: Warum kam der Polestar 3 so spät?

Der Polestar 3 (und der Volvo EX90) sollten die neuen E-Flaggschiffe des Konzerns werden und eine neue Software-Ära einläuten (zentrale NVIDIA-Rechner, Google OS). Die Entwicklung dieser extrem komplexen Software-Architektur, insbesondere für die Sicherheits- und Assistenzsysteme, war jedoch weitaus schwieriger als erwartet. Dies führte zu massiven Verzögerungen von fast zwei Jahren.

Das ist die ungeschminkte Wahrheit, die man in der PR-Abteilung nicht gerne hört. Sie haben sich an der Software verhoben. Klassischer Fall von “zu viel gewollt”. Diese Verzögerung hat dem Hype um das Auto geschadet und der Konkurrenz wertvolle Zeit gegeben, ihre eigenen Produkte (BMW iX, EQE SUV) auf den Markt zu bringen und zu etablieren. Der Polestar 3 kommt jetzt nicht mehr als Pionier, sondern als Nachzügler in ein bestelltes Feld. Ein harter Start.

Wie fährt er sich? Mehr Sportwagen als SUV?

Das Fahrwerk nutzt serienmäßig eine Zweikammer-Luftfederung und adaptive Dämpfer (ZF). Der Allradantrieb ist heckbetont ausgelegt. Das Performance-Paket schärft die Abstimmung weiter.

Fahrdynamisch ist er eine Wucht! Hier merkt man den Unterschied zum komfortorientierten EX90 am deutlichsten. Die Lenkung ist präzise und direkt, das Fahrwerk (selbst im Komfortmodus) straff, aber nicht unbarmherzig. Die Luftfederung hält die 2,6 Tonnen (!) erstaunlich gut in der Waage, Wankbewegungen sind minimal. Im Performance-Modus wird er richtig scharf. Der heckbetonte Allrad schiebt schön aus der Kurve, das Torque Vectoring (per Bremseingriff, leider kein mechanisches E-Diff wie im Polestar 5) hilft beim Eindrehen. Nein, ein Sportwagen ist er bei dem Gewicht nicht. Ein BMW iX mit Hinterachslenkung wirkt in der Stadt vielleicht handlicher. Aber auf der Autobahn und der schnellen Landstraße? Da liegt der Polestar 3 wie ein Brett. Souverän, stabil, extrem schnell. Er ist der Gran Turismo unter den E-SUVs. Das fährt sich richtig gut.

Advokat des Teufels: Was ist das stärkste Argument GEGEN den Polestar 3?

Neben dem hohen Preis (startet in Deutschland bei fast 90.000 Euro) und der 400-Volt-Architektur ist es das Gewicht und die Komplexität.

  1. Das Gewicht: 2,6 Tonnen Leergewicht. Das ist eine Ansage. Diese Masse muss beschleunigt, gebremst und durch Kurven gewuchtet werden. Das kostet Energie (Effizienz) und Material (Reifen, Bremsen).
  2. Software-Unsicherheit: Trotz der langen Verzögerung – ist die Software jetzt wirklich fehlerfrei? Ein Auto, das so stark softwareabhängig ist, birgt immer Risiken. Die ersten Monate werden es zeigen.
  3. Praktikabilität vs. Preis: Er ist ein reiner Fünfsitzer. Der Kofferraum ist für die Fahrzeuggröße eher mäßig. Ein (günstigerer) Kia EV9 bietet 7 Sitze und 800 Volt.4 Ein Tesla Model X (teurer) bietet mehr Platz und Show. Der Polestar 3 ist ein “Lifestyle”-Laster. Man muss diesen Mix aus Design und Sportlichkeit wollen und dafür auf maximale Praktikabilität verzichten.
  4. Dünnes Servicenetz: Polestar nutzt das Volvo-Netz mit, aber es ist immer noch nicht so dicht wie bei BMW, Mercedes oder Audi.

Zukünftiger Ausblick: SPA2 als Basis für die Zukunft?

Ja, die SPA2-Plattform ist die Basis für die großen E-SUVs des Konzerns (EX90, Polestar 3) und Limousinen (ES90). Sie ist die Brücke, bis die nächste reine E-Architektur (vermutlich von Geely, wie SEA/PMA) auch die Oberklasse übernimmt. Der Polestar 3 ist also ein wichtiger Baustein, aber vielleicht nicht die endgültige Antwort. Er muss jetzt Geld verdienen, um die Entwicklung der nächsten Generation (Polestar 5, 6 auf eigener Plattform) zu finanzieren. Seine Rolle ist es, zu beweisen, dass Polestar auch Luxus-SUV kann – und das besser, oder zumindest sportlicher, als Volvo.

Anekdote: Das LIDAR-Auge

Mitten auf der Windschutzscheibe, oben am Dachansatz, thront diese “SmartZone” mit Kameras und Radarsensoren. Und beim Top-Modell (oder optional?) starrt einen da auch das Auge des LIDAR-Sensors an. Sieht aus wie ein kleines Zyklopenauge. Sieht gewöhnungsbedürftig aus, fast schon aufgesetzt. Aber es ist das Versprechen zukünftiger Autonomie (Level 3+). Volvo und Polestar verbauen es als Statement: “Wir sind die Sichersten”. Ob es im Alltag 2025 schon einen echten Mehrwert bringt? Fraglich. Aber es ist ein teures Stück Hardware, das zeigt, wo die Reise hingeht. Ein sichtbares Stück Zukunft.

Merkmal
Polestar 3 LRDM
BMW iX xDrive50
Mercedes EQE SUV 500
Audi Q8 55 e-tron
Plattform
SPA2 (E-fokussiert)
CLAR-WE (E-optimiert)
EVA2 (rein E)
MLB Evo (modifiziert)
Leistung (ca.)
489 PS
523 PS
408 PS
408 PS
Akku (Netto)
ca. 107 kWh
ca. 105 kWh
ca. 91 kWh
106 kWh
Max. Reichw. (WLTP)
ca. 631 km
ca. 633 km
ca. 560 km
ca. 582 km
Ladeleistung (max)
250 kW (400V)
195 kW (400V)
170 kW (400V)
170 kW (400V)
Sitzplätze (Opt.)
5
5
5
5
Preis (Basis, ca.)
ab 88.600 €
ab 102.500 €
ab 99.700 €
ab 89.900 €

Fazit: Der Polestar 3 ist ein beeindruckendes, wenn auch verspätetes Debüt in der elektrischen Luxus-SUV-Klasse. Er sieht fantastisch aus, fährt sich für seine 2,6 Tonnen erstaunlich dynamisch und bietet eine hohe Reichweite. Das Google-basierte Cockpit ist modern, die Materialien nachhaltig und edel. Die Schwächen liegen im hohen Preis, dem (für 400V zwar guten, aber nicht revolutionären) Ladekonzept und der Bedienphilosophie, die fast alles auf den Touchscreen verbannt. Er ist eine charakterstarke, sportliche Alternative zum komfortableren Volvo EX90 und eine stilvolle Ansage an BMW iX und Co. Ob das reicht, um die lange Wartezeit zu rechtfertigen? Für Fans von skandinavischem Design und sportlichem Fahren ja. Aber ein Selbstläufer wird er nicht.

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Author: Alex Wind
Alex Wind ist Gründer von HH-AUTO und Chefredakteur des Mediennetzwerks. Als studierter Fahrzeugtechniker (FH Esslingen) mit über 10 Jahren Erfahrung in der Automobilindustrie (u.a. Qualitätssicherung) und Mitglied im Verband der Automobiljournalisten (VDAJ), legt er den Fokus auf fundierte Testberichte, technische Analysen und Import-Checks.

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