Volvo EX90 (2026): Die sicherste Festung der Welt – aber zu welchem Preis?

Man muss fast Mitleid haben. Der Volvo EX90 sollte der große Wurf werden, der “Gamechanger”. Doch dann kam die Software-Hölle. Verschiebungen, Bugs, Verzögerungen. Während Volvo versuchte, den komplexen Code für den LIDAR-Sensor zu bändigen, zog die Konkurrenz vorbei. Kia brachte den EV9, BMW den iX, Mercedes den EQS SUV. Jetzt, Ende 2025, ist der EX90 endlich in Stückzahlen auf der Straße, voll funktionsfähig und als Modelljahr 2026 bestellbar. Er will kein Auto mehr sein, sondern ein “hochleistungsfähiger Computer auf Rädern”. Ich bin das 2,8 Tonnen schwere Trutzburg-Flaggschiff gefahren. Ist er noch relevant? Oder ist er wie ein Duke Nukem Forever der Autoindustrie – zu spät und zu kompliziert?

Der “Lidar-Buckel”: Geniale Technik oder Design-Unfall?

Das markanteste Merkmal des EX90 ist der Lidar-Sensor von Luminar, der oberhalb der Windschutzscheibe in die Dachlinie integriert ist. Er scannt die Umgebung bis zu 250 Meter weit, auch bei völliger Dunkelheit, und bildet die Basis für künftiges autonomes Fahren (Level 3).

Lassen Sie uns über den Huckel reden. Er sieht aus wie ein Taxischild, das jemand vergessen hat abzunehmen. Aber wissen Sie was? Sobald Sie verstehen, was dieses Ding tut, finden Sie es plötzlich schön. Es ist der ultimative Schutzengel. Ich fuhr nachts auf einer unbeleuchteten Landstraße in Brandenburg. Das Display zeigte mir ein Reh am Straßenrand an, lange bevor meine Matrix-LEDs es erfassten. Das System “sieht” Dinge, die wir nicht sehen. Volvo verkauft hier keine Fahrfreude. Sie verkaufen das Gefühl von Unsterblichkeit. Und in einer Welt voller Chaos ist das ein verdammt starkes Verkaufsargument. Wenn Sie Ihre Kinder auf der Rückbank haben, ist Ihnen die Optik des Sensors egal. Sie wollen ihn haben.

Antrieb & Akku: 111 kWh gegen die Physik

Der EX90 setzt auf einen riesigen 111-kWh-Akku (netto 107 kWh). Als “Twin Motor Performance” leistet er 380 kW (517 PS) und 910 Nm. Trotz des enormen Gewichts von knapp 2,8 Tonnen sprintet er in 4,9 Sekunden auf 100 km/h. Die WLTP-Reichweite liegt bei ca. 600 km.

2,8 Tonnen. Lassen Sie das sacken. Das ist kein Auto, das ist eine Immobilie. Und so fährt er sich auch. Der EX90 bügelt die Straße nicht glatt, er zermalmt sie. Der Komfort der Luftfederung ist majestätisch. Es ist dieses typische Volvo-Gefühl: Man wird vom Verkehr isoliert. Aber die Physik lässt sich nicht betrügen. Auf der Autobahn bei 130 km/h fließen gut und gerne 26 bis 28 kWh durch die Leitungen. Die riesige Batterie ist keine Option, sie ist eine Notwendigkeit, um überhaupt 400 km weit zu kommen. Ja, er ist schnell geradeaus. Aber Kurven mag er nicht. Er toleriert sie. Wer Sportlichkeit sucht, ist hier falsch. Wer einen privaten ICE-Zug sucht: Willkommen an Bord.

Innenraum: Nordischer Zen oder Sparmaßnahme?

Volvo verzichtet im EX90 komplett auf Tierleder und setzt auf “Nordico” (ein Material aus recycelten Korken und Bio-Materialien) sowie Wollmischungen. Das Cockpit wird dominiert von einem 14,5-Zoll-Touchscreen mit Google Built-in. Physische Knöpfe fehlen weitgehend.

Ich liebe schwedisches Design. Aber hier haben sie es übertrieben. Ein Auto für über 110.000 Euro ohne Leder? Das “Nordico”-Material fühlt sich okay an, aber nicht nach Luxusklasse. Und die Wollsitze sind zwar gemütlich, aber versuchen Sie mal, da geschmolzene Schokolade rauszubekommen. Was mich aber wirklich nervt: Der Minimalismus-Wahn. Um das Handschuhfach zu öffnen, müssen Sie einen Button auf dem Touchscreen drücken. Um die Spiegel einzustellen? Touchscreen. Das ist nicht “Zen”, das ist ergonomischer Unfug und lenkt ab. Google Maps funktioniert brillant, ja. Aber ich will einen Knopf für die Umluft, verdammt noch mal!

Software 2026: Läuft er endlich?

Nach den anfänglichen Desastern läuft der EX90 nun auf der “NVIDIA DRIVE Orin” Plattform. Die Rechenleistung ist enorm.

Ja, er läuft. Und wie. Die Grafik ist gestochen scharf, die Unreal Engine zaubert wunderschöne Visualisierungen des Verkehrs auf den Screen. Es ruckelt nichts mehr. Aber man merkt, dass dieses Auto ein Computer ist. Manchmal braucht er beim “Booten” (Einsteigen) eine Sekunde länger, bis alles da ist. Das Versprechen ist “Software Defined”. Das heißt, das Auto soll über die Jahre besser werden. Ende 2025 sehen wir die ersten großen Updates. Das Auto lernt tatsächlich dazu. Die Assistenzsysteme fahren jetzt menschlicher als noch vor sechs Monaten.

Der Elefant im Raum: Kia EV9

Der Volvo EX90 kostet in einer vernünftigen Ausstattung schnell 115.000 Euro. Der Kia EV9 bietet ähnliche Maße, 6 oder 7 Sitze, 800-Volt-Technik (schnelleres Laden!) und kostet voll ausgestattet rund 80.000 Euro.

Das ist das Problem. Der Kia EV9 lädt schneller (dank 800 Volt vs. 400 Volt beim Volvo). Er hat mehr Platz in der dritten Reihe. Und er kostet einen Golf weniger. Warum also Volvo kaufen? Wegen des Lidar. Wegen der Sitze, die von Orthopäden entwickelt wurden. Und wegen des Images. Ein Volvo ist “Old Money”, ein Kia ist “Smart Money”. Wenn Sie auf den Parkplatz des Golfclubs fahren, ernten Sie im Volvo anerkennendes Nicken. Im Kia müssen Sie erklären, warum er so gut ist. Ist Ihnen dieser Image-Boost 35.000 Euro wert?

Der Kampf der Riesen

Feature
Volvo EX90 Twin Motor
Kia EV9 GT-Line
BMW iX xDrive50
Akku (Netto)
107 kWh
99,8 kWh
105,2 kWh
Reale Reichweite
ca. 420 km
ca. 400 km
ca. 480 km
Ladesystem
400 Volt (250 kW Peak)
800 Volt (210 kW Flat)
400 Volt
Sicherheit
Lidar (Serie)
Radar/Kamera
Radar/Kamera
Innenraum
Minimalistisch (Vegan)
Funktional (Plastik/Vegan)
Lounge (Leder/Kristall)
Preis (Testwagen)
ca. 120.000 €
ca. 83.000 €
ca. 130.000 €

Fazit: Für die Ewigkeit gebaut (hoffentlich)

Der Volvo EX90 ist ein beeindruckendes Stück Technik. Er fühlt sich an, als könnte man damit durch eine Wand fahren, ohne den Kaffee zu verschütten. Das Lidar-System setzt Maßstäbe in der Sicherheit, die im Jahr 2026 niemand sonst (serienmäßig) bietet. Aber er hat Schwächen: Die Bedienung ist zu touch-lastig, das Laden dauert länger als bei den Koreanern, und der Preis ist gesalzen. Kaufen Sie ihn, wenn Sicherheit Ihre oberste Priorität ist und Geld keine Rolle spielt. Es ist das ultimative Familien-Shuttle. Aber wenn Sie einfach nur viel Platz und gute Technik wollen: Schauen Sie sich den Kia EV9 an. Ihr Bankkonto wird es Ihnen danken.

Galerie

Author: Alex Wind
Alex Wind ist Gründer von HH-AUTO und Chefredakteur des Mediennetzwerks. Als studierter Fahrzeugtechniker (FH Esslingen) mit über 10 Jahren Erfahrung in der Automobilindustrie (u.a. Qualitätssicherung) und Mitglied im Verband der Automobiljournalisten (VDAJ), legt er den Fokus auf fundierte Testberichte, technische Analysen und Import-Checks.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert